Ein Interview mit Jane von Klee zum Thema Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen
Jane von Klee habe ich in ihrem Online-Kurs Beta-Kurs “EinBlickeinKlickeinKunde” kennengelernt. Dort habe ich gelernt, wie ich Texte auf meiner Webseite verbessern kann, damit meine Webseite meine Wunschkunden anzieht. Jane hat mich einerseits durch ihre unglaubliche Kompetenz beeindruckt, aber – völlig unerwartet – auch durch ihren Werdegang, der sie dazu gebracht hat, sich stark für das Thema Chancengleichheit zu engagieren. Als sie erzählte, dass sie irgendwann einmal eine Stiftung gründen möchte, hatte es bei mir “Klick” gemacht, denn genau das steht seit Anfang des Jahres auf meiner “SchönesBuntesLeben”-Liste. Wir haben uns zum Gespräch verabredet, um zu sehen, ob wir gemeinsam mehr bewegen können. Das ist dabei herausgekommen.
Liebe Jane, du bist selbständige Unternehmerin und deine Themen sind Webseitentexte und dein besonderes Steckenpferd ist die Search Engine Optimization (SEO), also Suchmaschinenoptimierung. Worum geht es bei SEO überhaupt?
SEO ist alles, was man tun kann, damit eine Webseite bei Google möglichst gut gefunden wird. Damit sie eben nicht auf Seite 23 herumdümpelt, sondern auf der ersten Seite der Ergebnisliste erscheint.
Wie hast du dieses Thema gefunden?
Das hat sich so ergeben – es war nicht von Anfang an mein Plan. Ich hab mich eigentlich als Werbetexterin selbständig gemacht und dann aber sehr schnell festgestellt, dass es ein Riesenbedarf beim Thema SEO gibt, weil ich dazu ganz viele Fragen bekommen habe. Ich hatte dann den Plan, einen Online-Kurs zum Thema Webseite zu erstellen, in dem es hauptsächlich um die Texte gehen sollte. Als Vorbereitung habe ich eine Umfrage erstellt in meiner Community und sie gefragt, was sie brauchen, also Wo hängt das bei euch? Was braucht ihr? Welche Fragen stellt ihr euch immer wieder?Die Antworten waren SEO, SEO, SEO….SEO ist für mich das Buch mit sieben Siegeln usw. Dann dachte ich, na gut wenn das so großer Bedarf herrscht muss sich offensichtlich mal was dazu machen. Der Kurs kam dann so gut an, dass mich die Leute weiterempfohlen haben und schwupps hatte ich einen Namen als SEO-Expertin, obwohl ich ursprünglich eigentlich über die Textschiene gekommen bin.
Warst du schon immer selbständig?
Ja, ich habe schon während meines Studiums selbstständig gestartet. Als freie Journalistin ist man üblicherweise bei mehreren Redaktionen angestellt. Es kam zu Problemen als ich schwanger war. Eine meiner Chefinnen hat es mir übel genommen, dass ich ohne ihre Erlaubnis schwanger geworden bin, es also nicht vorher mit ihr abgesprochen hatte. Daraufhin hat sie einen tierischen Psychoterror gestartet, dem ich in dem Moment nicht viel entgegenzusetzen hatte. Das hat mich sehr belastet, ich habe in der Zeit viel geweint und es war für mich klar, dass ich dahin nicht mehr zurückgehen werde. Deswegen habe ich mir dann aus der Elternzeit heraus was Neues gesucht und den Bereich gewechselt.
Bist du zufrieden mit dieser Enstcheidung?
Ja, ich bin super zufrieden. Ich kann mir nichts anderes mehr vorstellen.
Wie eingangs erwähnt liegt dir die Chancengleichheit am Herzen und dabei insbesondere die Chancengleichheit von Jugendlichen und Kindern. Woher kommt das?
Das kommst aus meiner eigenen Geschichte heraus. Ich bin mit Hartz IV aufgewachsen. Da habe ich so einige Dinge erlebt: bei mir selbst aber auch als Zuschauerin von Anderen in meiner Klasse, die auch in der Situation waren. Das war für mich damals eine sehr belastende Situation.
Kannst du so eine Situation konkret schildern?
In der zehnten Klasse bin ich zum Beispiel vom Jobcenters zu einer Berufsberatung eingeladen worden. Sie haben mir geraten, mein Abi abzubrechen und stattdessen eine Ausbildung zu machen, damit ich aus der Arbeitslosenstatistik raus bin. Das hat mich damals schon aufgeregt. Meine Mutter hat sich damals zum Glück vor mich geschmissen und mich da rausgeboxt. Sie kannte sich mit diesen ganzen Dingen schon ganz gut aus und wusste wie man Widerspruch einlegt und mit Zeugen hingeht und so weiter. Ich hatte wie gesagt Glück, dass meine Mutter sich für mich eingesetzt hat. Aber dieses Erlebnis war trotzdem einschneiden für mich, weil es mir sehr deutlich gezeigt hat, dass ein Unterschied gemacht wird, je nachdem aus welchen Verhältnissen man kommt. Zu Jugendlichen, die nicht aus Hartz IV Familien kommen, ist nie wie gesagt worden: „Brich doch mal dein Abi ab.„
Gibt es weitere Beispiele, wie sich Hartz-IV für dich ausgewirkt hat?
Es gibt viele Beispiele für materielle Auswirkungen. Ich konnte zum Beispiel nur selten mit den anderen ins Kino gehen, weil das Geld dafür nicht da war. Ich konnte in meiner Freizeit aber auch nicht einfach arbeiten gehen wie das die anderen Jugendlichen gemacht haben. Das wäre ja alles sofort angerechnet worden, so dass nichts davon bei mir übrig geblieben wäre. Diese Ohnmacht hat mich ziemlich frustriert: Egal wie viel ich zusätzlich zur Schule schuften würde – ich dürfte davon ja eh nichts behalten und wie soll ich da jemals aus dieser Lage herauskommen.
Schulmaterialien war das nächste Thema. Glücklicherweise kann man die Bücher ausleihen. Trotzdem macht es einen Unterschied für die Motivation, in welchem Zustand die Materialien sind, mit denen man lernt. Einmal hat meine Oma mir ein brandneues Englischlehrbuch geschenkt. Das war ganz frisch und hatte diesen typischen, neuen Duft. Ich weiß noch genau, wie ich die Folie abgezogen habe. Was das für ein Unterschied zu den anderen Büchern war: Bücher, die schon zehn bis fünfzehn Mal ausgeliehen waren, mit dubiosen Flecken drauf, Bücher, die schon beinahe auseinanderfielen, in die überall schon reingekritzelt war. Natürlich habe ich mit diesem neuen Buch viel lieber gearbeitet. Ich könnte noch viele andere Beispiele erzählen.
Das war jetzt die materielle Seite – gibt es noch andere Bereiche, die du erwähnen möchtest?
Ja, ich möchte die soziale Ausgrenzung erwähnen. Das ganze Thema Hartz IV ist mit Stigmatisierung behaftet finde ich. Das merkt man zum Beispiel dann, wenn in den Medien eine Hartz IV Regelsatzerhöhung kommuniziert wird. Wenn man sich dann dazu die Kommentarspalten in den Sozialen Medien angeguckt, dann sieht man viel Unschönes. Und es gibt auch Leute die einen direkt ins Gesicht sagen, dass Hartz IV Empfänger Schmarotzer sind. Natürlich gibt es auch hier schwarze Schafe – die gibt es überall. Aber ein Großteil der Hartz IV Empfänger bekommt die Unterstützung nicht, weil sie faul sind, sondern weil es halt nicht reicht. Entweder weil sie einen Job haben, mit dem sie nicht genug verdienen oder weil sie nebenher Angehörige pflegen oder weil sie krank geworden sind und nicht so arbeiten können wie sie wollen. Es gibt so viele unterschiedliche Gründe, aber danach fragt halt niemand. Auch in der Schule nicht. Wir hatten in der 11. Klasse in Sozialkunde einmal das Thema Hartz IV. In dem Alter sollte man eigentlich schon eine gewisse Reife erwarten. Aber auch da ging es los mit Kommentaren in Richtung Schmarotzer und „die“ sollen halt einfach mal nicht mehr so viele Flachbildfernseher kaufen. Ich saß da mittendrin und wusste nicht was ich machen soll. Hab mich ganz klein gemacht und gehofft, dass niemand mitkriegt dass ich davon betroffen bin. Ich hatte Angst, dass die Meute dann über mich herziehen, zumal die Lehrerin diese Kommentare auch nicht geradegerückt hat. Danach habe ich zwei Wochen Sozialkunde geschwänzt, weil ich mir das nicht mehr antun wollte.
Du hast diese Situation hinter dir gelassen…..
Ja, mir geht es heute gut und auch meine Familie ist nicht mehr auf Hartz IV. Aber ich hab diese Situation nicht vergessen und ich weiß dass es vielen anderen Kindern und Jugendlichen auch so geht. Die Kinder und Jugendlichen können nichts dafür – die hängen einfach nur mit drin.
Es gibt genügend Studien, die zeigen dass die soziale Herkunft ein riesen Einfluss darauf hat was, man aus einem wird. Es gibt einige Beispiele wie mich, die schaffen es, da rauszukommen und sich was aufzubauen, aber sehr viele schaffen es eben nicht. Daran möchte ich etwas ändern, weil ich mich weigere zu akzeptieren, dass der Lebensweg was damit zu tun haben sollte, in welche Familien man zufällig reingeboren wurde.
In Deutschland sind laut einer Studie 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren von Armut bedroht.
Bertelsmann Studie zur Kinderarmut in Deutschland
Hast Du eine Idee, was der Einzelne dagegen tun kann?
Zum einen finde ich es wichtig, dass man sich überhaupt für das Thema interessiert und sich informiert. In den sozialen Medien wird extrem viel Blödsinn verbreitet – nicht alles, was im Internet steht, stimmt. Es gibt aber immer Leute, die diesen Blödsinn glauben. Es gibt zu diesem Thema ganz offizielle Studien, die über das Thema informieren. Oder man spricht direkt mit Betroffenen, wenn man jemanden kennt. Statt also den Kommentaren in den sozialen Medien einfach zu glauben, würde ich mir wünschen, dass sich die Menschen besser informieren bevor sie sich ein Urteil bilden. Niemand bekommt Hartz IV einfach so. Es ist mit Verpflichtungen und mit Einschränkungen verbunden. Niemand rennt einem mit dem Palmwedel hinterher und reicht einem geschälte Weintrauben.
In einem ersten Schritt geht es also damit los, dass wir das Thema zur Kenntnis nehmen und sich zu informieren. Jeder kann Partei ergreifen, wenn man mitbekommt, dass jemand öffentlich angefeindet wird. Sei es im persönlichen Gespräch oder eben in den sozialen Medien. Jeder kann zu einem respektvollen Miteinander beitragen. Wenn wir also mitbekommen, dass jemand angefeindet wird, dann ist es hilfreich, dass wir uns auf dessen Seite schlagen und zeigen, dass wir nicht einverstanden sind mit der Art und Weise der Kommunikation. Es hilft den Betroffenen ungemein, wenn sie mitbekommen, dass sie nicht alleine dastehen.
Hast du noch andere Ideen?
Wenn man speziell etwas für die Chancengleichheit von jungen Menschen tun möchte, kann man erst einmal ganz klein anfangen und zum Beispiel Geld spenden. Es gibt jede Menge Vereine und Initiativen, die sich dafür einsetzen. Niemand muss also so zu diesem großen Organisationen gehen, bei denen man vielleicht nicht weiß, was die mit dem Geld machen und ob es wirklich ankommt. In den Städten gibt es oft ganz kleine Vereine,wo man persönlich mit den Leuten sprechen kann. In Leipzig haben wir zum Beispiel einen Verein, der sich für obdachlose Jugendliche einsetzt. Außerdem gibt es die kirchliche Erwerbslosenhilfe, die mit Spendengeldern Schulmaterialien stellt. Man kann da also wirklich hingehen und schauen was haben sie von dem Geld gekauft.
Man kann sich auch ehrenamtlich engagiere, indem man Hand mit anlegt bei der Renovierung von Räumen oder der Essensausgabe. Oder man kann als Mentor für Kinder und Jugendliche fungieren.
Würdest du dir von Politik oder Wirtschaft etwas wünschen?
Ich habe neulich einen interessanten Artikel im Katapult-Magazin gelesen, in dem es um die Frage ging, wer Rechtspopulisten wählt. Oft wird ja vermutet, dass es die einkommensschwachen Schichten sind. In diesem Artikel wird das verneint und festgestellt, dass es eher die Mittelschicht ist, die Angst davor hat, abzusinken. In dem Artikel kam auch Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel zu Wort, der die Theorie der Zweidrittel-Politik vorgestellt hat. Demnach wird Politik für die Mittelschicht gemacht, weil sie zwei Drittel der Wähler stellen. Die Nichtwähler – bei der letzten Bundestagswahl waren das immerhin 23% – stammen überwiegend aus den einkommenssschachen Schichten. Für diese Nicht-Wähler wird keine Politik gemacht, weil sie nicht zum Wahlsieg beitragen. Auch wenn ich das machtpolitisch verstehen kann, finde ich dennoch, dass das nicht die Lösung sein kann. Auch wenn ich weiß dass das utopisch ist, wünsche ich mir trotzdem, dass es keine Zweidrittel- sondern eine Dreidrittelpolitik gibt, die alle vertritt.
Liebe Jane, das war ein interesssantes und informatives Gespräch, was mich zum Nachdenken gebracht hat. Ich finde es gar nicht so einfach, den lokalen Verein oder die Initiative zu finden, den ich unterstützen kann. Ich kenn einige Menschen in meinem Umfeld, die sich sicher mehr engagieren würden, wenn sie eine Anlaufstelle hätten. Insofern träume ich davon, dass wir es schaffen, jedem der helfen will, aufzuzeigen, wie er es auf einfache Art und Weise tun kann.
Falls Du, liebe:r Leser:in Anlaufstellen kennst, die sich über Unterstützung freuen würden, dann nenne die doch bitte im Kommentar. Vielleicht können wir dieses Wissen dann allen zugänglich machen, denen die Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen am Herzen liegt.
Liebe Korina, danke für das tolle Interview mit Jane, welches mich sehr berührt hat. Ich habe 12 Jahre Jugendarbeit im Rahmen von Kirche gemacht und dies oft als gute Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche empfunden, weil hier Gemeinschaft, Sinn, Orientierung und Spaß zusammenkamen. Herzlichst, Renate
Herzlichen Dank liebe Renate. Auch für die Anregung mit der Kirche. In unserer Gemeinde gibt es diesbezüglich noch nichts und da kann ich auf jeden Fall reinfragen. Viele Grüße, Korina
Danke für dieses inspirierende Interview! Es hat mich an meinen „heimlichen“ Traum erinnert, dass ich eines Tages eine Stiftung gründen will.
Liebe Veronika, genau darüber sind Jane und ich zusammengekommen: wir hatten beide den Plan, eine Stiftung zu gründen. Witzig oder? Am Geld alleine liegt es leider nicht (gestern hatte Monitor einen Bericht zum Thema, der mich wirklich „schockiert“ hat: Gelder sind da, werden aber nicht abgerufen, weil die bürokratischen Hürden zu hoch sind. Ich weiß jetzt jedenfalls, dass dich das Thema interessiert und vielleicht ergibt sich eine Möglichkeit, zusammen etwas zu bewegen. Ich würde mich dann bei dir melden. Herzliche Grüße, Korina
Schöner Artikel! Ich kenne ähnliche Situationen, weil mein Vater zwar überdurchschnittlich verdient hat, aber uns, seine Familie, sehr sehr eingeschränkt hat. Auch erkenne ich das gleiche Ziel: Menschen Unterstützung und Chancen zu geben.
Liebe Shau Chung, das ist ein sehr interessanter Aspekt, den ich gar nicht bedacht hatte. Es ist einfach wichtig, dass Kinder eine Möglichkeit haben, Unterstützung jenseits des Elternhauses zu bekommen, denn nicht immer sind die Eltern in der Lage, ein förderliches Umfeld bereitzustellen. Ich habe die allergrößte Hochachtung vor deinem Weg. Dass dich deine Erfahrungen nicht verbittert haben, sondern du sie als Ansporn nimmst, um andere zu unterstützen. Unterstützung, die du als Kind vielleicht selbst vermisst hat. Alles Gute auf deinem Weg und herzliche Grüße, Korina