Weil ich die Urlaubsplanung in Zeiten von Corona einigermaßen herausfordernd finde, ist meine Strategie derzeit, kurzfristig kleinere Auszeiten zu nehmen. Eine davon habe ich gerade hinter mir: eine viertägige Radtour. Das Besondere: ich bin ganz alleine gefahren. Letztes Jahr war ich 10 Tage alleine wandern und dieses Jahr eben ein paar Tage Radfahren. Jedes Mal gewinne ich überraschende Einsichten. Bei der Radtour habe ich überraschende Erkenntnisse zum Thema Älterwerden gewonnen.
Alleine auf Radtour – warum eigentlich nicht?
Ich kenne sehr unterschiedliche Frauen. Einige finden so eine Radtour alleine sehr mutig und würden sich das selbst gar nicht trauen. Andere verstehen gar nicht, was daran mutig sein soll. Und ich? Ich fand es ein bisschen mutig. Nicht, weil ich nicht allein sein kann. Ganz im Gegenteil – manchmal fehlt mir genau das in meinem Alltag. Nein: meine räumliche Orientierung ist einigermaßen unterentwickelt (ich habe mir einen Mann ausgesucht, der eine überdurchschnittliche Orientierung hat und diese Fähigkeit über viele Jahre schlichtweg nicht trainiert) und ich kann kein Fahrrad reparieren. Das sind, wie ich finde, zwei nicht unwesentliche Gründe. Aber ich habe mich trotzdem auf den Weg gemacht. Nicht komplett leichtsinnig, sondern mit einer Gegenstrategie. Meine unterentwickelte Orientierung habe ich durch Technik ausgeglichen: mit komoot habe ich schon auf diversen Wanderungen gute Erfahrungen gemacht. Und was mein fehlendes Mechaniker Know-how angeht, habe ich mir zumindest einen Ersatzschlauch besorgt und Werkzeug eingepackt.
Lektion 1: Manchmal hilft Unwissenheit
Tag 1 lief wie am Schnürchen. Mittags in Reilingen losgefahren, bei schönstem Wetter und mit relativ wenig Höhenunterschied – ohne mich zu verfahren – nach Grünstadt geradelt. Ankunft im vorgebuchten Hotel. Zimmer prima. Frühstücksbuffet am nächsten Morgen sensationell.
Für Tag 2 war eine Fahrtzeit von knapp über 4 Stunden in der App angegeben. Am Ende diesen Tages würde ich bei meiner Freundin in Bingen ankommen, dort einen schönen Abend mit ihr verbringen und am nächsten Morgen weiterfahren. 9 Uhr ging’s los, also ging ich von einer Ankunftszeit gegen 14 Uhr aus. Nun, das stimmte nicht ganz. Um 17:30 traf ich schlussendlich ein. Was war passiert? Ich hatte zwar gesehen, dass die Tour als schwierig klassifiziert war, aber nachdem es am Vortag so bombig lief, habe ich mir keine weiteren Gedanken gemacht, der Zeitangabe vertraut und die Klassifizierung nicht so ernst genommen.
Umwege verbessern die Ortskenntnis
Tatsächlich war es eine schwierige Radtour. Es fing schon damit an, dass es anfangs eine Umleitung gab (ich glaube, dass derzeit alle Baumaßnahmen nachgeholt werden, die je aufgeschoben wurden) – und diese Umleitung war, zumindest in meine Richtung, sehr lückenhaft ausgeschildert. Nach ungefähr einer Dreiviertelstunde hatte ich dann den Radweg gefunden, der mich nach Bingen führen sollte. Umwege verbessern bekanntlich die Ortskenntnis, aber an diesem Morgen hätte ich darauf verzichten können.
Wer nicht sehen will, darf fühlen
Was mir nicht so klar war (weil ich mich nicht wirklich eingehend mit der Tour befasst hatte): auch wenn Bingen am Rhein liegt und mein Ausgangspunkt auch relativ nahe am Rhein war, so hatte ich doch keine Flusstour ausgesucht. Ich hatte mich für eine Rundtour entschieden und der Weg nach Bingen führte mich durch das rheinhessische Hügelland. Es ging also entweder hoch (schieben) oder runter (bremsen). Das war anstrengend und nach dem zigsten Hügel dachte ich ernsthaft darüber nach, ob ich mir nicht vielleicht doch zu viel zugemutet hatte.
Eine weitere überraschende Erkenntnis: die Autofahrer im rheinhessischen Bergland fahren gerne sportlich. Will heißen: zügig und auch nicht unbedingt mit großem Seitenabstand. Der von komoot ausgewiesene Weg verlief teilweise über eine Landstraße. Ich fühlte mich so unsicher, dass ich spontan umgeplant habe und durch die Weinberge fuhr (vielmehr: schob, denn Wege durch die Weinberge sind nicht ohne Grund nicht als Radwege ausgewiesen).
Wenn ich das alles im Vorfeld gewusst hätte, dann wäre ich vermutlich gar nicht aufgebrochen. Oder hätte die Rhein-Route gewählt. Aus heutiger Sicht kann ich sagen: das wäre sehr schade gewesen. Denn das rheinhessische Hügelland ist wunderschön und ich werde da ganz bestimmt noch einmal hinfahren, zum Beispiel nach Flonheim, das mich irgendwie an die Toskana erinnert hat.
Deshalb meine erste Erkenntnis: manchmal ist es gut, nicht so genau zu wissen, was auf einen zukommt. Auch im Bezug aufs Älterwerden scheint mir das eine sehr hilfreiche Haltung. Nicht alles genau vorausplanen wollen, sondern sich mutig (nicht unverantwortlich!) drauf einlassen und dann das Beste aus dem machen, was sich gerade zeigt. Die ganze Planerei und Vorbereitung stellt ja eh nur den Versuch dar, vermeintliche Sicherheit herzustellen. Ich hoffe, ich kann mich auch noch im Alter auf Unbekanntes einlassen, ohne es vorher komplett zu zerdenken. Die Erfahrung segnet uns zwar mit Wissen, aber wer viel weiß, hat auch viele Bedenken. Insofern hoffe ich, dass ich eine gewisse Unvoreingenommenheit bewahren kann und noch möglichst lange nach der Maxime „Versuch macht kluch“ durchs Leben gehen werde.
Lektion 2: Krisen gehören zum Leben
Abgesehen vom ersten Tag hatte ich jeden Tag eine kleine Krise. Ein Zeitpunkt, an dem ich keine Lust mehr hatte und mich schwach fühlte. Sei es, weil die Hügel nicht aufhören wollten, oder der Gegenwind oder der Regen oder ich den Weg suchen musste. Am vierten Tag hatte ich eine Gegenstrategie: erst einmal was essen und trinken und etwas ausruhen, wenn sich die Krisenstimmung ankündigt. Es entwickelte sich im Laufe der Tage das Vertrauen, dass es schon nicht so schlimm werden würde. Im Alltag erlebe ich Krisen nicht so häufig. Auf der Tour habe ich überhaupt erst bemerkt, dass ich eigentlich Schiss vor Krisen habe. Die vier Tage haben mir gezeigt, dass es keinen Grund gibt, sich vor der Krise zu fürchten. Krisen gehören zum Leben dazu und die Fähigkeit Krisen zu überwinden steckt in jedem Menschen. Auch das eine hilfreiche Perspektive für das Alter.
Lektion 3: Wer langsam geht, kommt auch ans Ziel
Es gibt immer Radfahrer, die schneller unterwegs sind oder die weitere Strecken an einem Tag zurücklegen als ich. Wenn ich den Berg hochkeuche und dann locker von hinten überholt werde, dann stelle ich fest, dass mich das juckt. Es ist mir nicht egal – und das liegt am Vergleichen. Natürlich weiß ich, dass Vergleichen ganz schlecht ist. Und natürlich will ich das nicht. Dennoch habe ich auf der Tour erkannt, dass es eine bewusste Entscheidung von mir braucht, diese Vergleicherei abzustellen. Sich zu vergleichen ist der sichere Weg ins Unglück. Ich kenne gar nicht so wenige ältere Menschen, die den jüngeren ihre Jugend und ihre Leistungsfähigkeit neiden. Sie haben eigentlich gar kein schlechtes Leben, aber im Vergleich zu anderen oder mit einer jüngeren Version ihrer Selbst können sie nicht mithalten. Eine stetige Unzufriedenheit schwingt mit und ich empfinde den Kontakt zu diesen Menschen als anstrengend.
Die Radtour hat mir gezeigt, dass auch ich auch zu Vergleichen neige, obwohl ich ganz genau weiß wie negativ sich das auswirkt. Und gleichzeitig hat mir die Tour geholfen, dankbar und mit Freude auf die gefahrene Strecke zu blicken. Egal wie weit und schnell andere fahren: ich habe die Tour in meinem Tempo und auf meine Art gemacht. Und das fühlt sich gut an. Und genauso möchte ich mein Leben sehen: ich lebe es in meinem Tempo und nach meinem Maßstäben – egal was andere denken oder gerade angesagt ist.
Fazit
Es waren tolle vier Tage mit mir selbst bei denen ich einiges über mich und meine Einstellung zum Leben gelernt habe. Erfahrungen, die ich so im Alltag nicht machen kann. Deshalb steht eines für mich fest: Ich werde mich auf jeden Fall immer wieder alleine auf den Weg machen. Es hilft mir den Blick nach innen zu richten und mit Abstand erkenne ich manches so viel klarer: meine Einstellung zu Krisen, zu Vergleichen und zu vermeintlichen Sicherheiten hat sich dadurch nachhaltig verändert.
Vielleicht interessant für dich: kostenloses Selbstcoachingangebot
Weil mir persönliches Wachstum und Weiterentwicklung am Herzen liegen, habe ich eine kostenlose Broschüre erstellt, mit der du herausfinden kannst, wo du gerade stehst und wo du gerne hinmöchtest. Du kannst dir diese Broschüre hier kostenlos herunterladen.
Liebe Korina, das sind tolle Erkenntnisse, die du für dich gewonnen hast. Vor allem, mit Krisen umzugehen! Ich habe eine Mehrtagestour zu Fuß gemacht, allerdings nicht allein, aber ich bin auf einen ähnlichen Prozess gestoßen. Dein Artikel ist dazu so richtig lebendig und ehrlich geschrieben. Hat mir wirklich super gefallen. Liebe Grüße Nicole
Danke liebe Nicole. Es freut mich sehr, dass dir der Artikel gefallen hat. Herzliche Grüße, Korina
Liebe Korina, was für ein Reisebericht, was für ein Abenteuer mit dir selbst. Stoff zum Schreiben und sich gerne Erinnern, weil du bist dran geblieben und hast eben nicht aufgegeben. Das ist doch so befriedigtend, oder?
Liebe Silke,
ja, das ist total befriedigend. Und hat Rückwirkungen auf andere Lebensbereiche. In meiner Selbständigkeit geht es auch darum dranzubleiben. Marathonlaufen, nicht sprinten. Und wenn sich das ein Steinchen zum anderen fügt, ist das ein total schönes Gefühl.
Herzliche Grüße, Korina