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Was macht Einsamkeit mit uns?

Was macht Einsamkeit mit uns? Zu dieser Frage hat Gesa Oldekamp eine Blogparade veranstaltet. Die Frage hat mich spontan angesprochen: Sie ist komplex und es gibt viele Vorurteile dazu. Grund genug, mich in einer Blogparade einmal tiefer damit auseinanderzusetzen.

Neben dieser intellektuellen Neugier gibt es noch zwei weitere Gründe. Das Thema begleitet mich schon länger. Zum einen war meine Motivation für das von mir initiierte Projekt Luther-Treff in der evangelischen Kirchengemeinde der Anspruch, etwas gegen die Einsamkeit und für die Lebensqualität in der Gemeinde zu tun. Das Projekt bietet einmal im Monat ein Mittagessen auf Spendenbasis an – sowohl die Gäste als auch die Helfer genießen die Gemeinschaft.

Außerdem ist die Erhöhung der Lebenszufriedenheit meiner Klient:innen in der zweiten Lebenshälfte eine wesentliche Motivationsquelle für meine Arbeit als selbständige Coachin. Einsamkeit und Lebenszufriedenheit haben einen ursächlichen Zusammenhang – auch deshalb möchte ich es besser verstehen.

Was ist Einsamkeit – und was nicht?

Jeder hat eine Vorstellung davon, was Einsamkeit ist. Viele assoziieren es vielleicht mit Alleinsein. Aber aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass nicht jeder, der alleine ist, fühlt sich einsam. Im Gegenteil: Alleinsein kann eine sehr wohltuende Erfahrung sein.

Deshalb habe ich mir angeschaut, was die Wissenschaft dazu sagt. Obwohl Einsamkeit ein komplexes Phänomen ist, gibt es eine allgemein anerkannte Definition, die in der Forschung häufig verwendet wird. 

Es ist also ein subjektives Gefühl und es geht um Qualität und Quantität: Sowohl die Anzahl als auch die Tiefe der Beziehungen spielen eine Rolle. In der neueren Forschung wird Einsamkeit oft auch als ein biologisches Signal verstanden, ähnlich wie Hunger oder Durst, das uns motiviert, soziale Verbindungen zu suchen oder zu stärken.

Verschiedene Arten der Einsamkeit

Es gibt unterschiedliche Ursachen für das Gefühl der Einsamkeit. Es hängt von den eigenen Bewertungen und Bedürfnissen ab. Nachfolgend eine Auswahl unterschiedlicher Arten von Einsamkeit: 

  • Physische Einsamkeit: Fehlen von körperlicher Nähe
  • Emotionale Einsamkeit: Fehlen einer einer Person, der man vertrauen kann und die einen als Person bestätigt.
  • Soziale Einsamkeit: Fehlen  eines größeren sozialen Netzwerkes.
  • Kollektive Einsamkeit: Fehlende Zugehörigkeit zu einer größeren Gruppe oder Gemeinschaft.  
  • Lonely in a Crowd: Sich inmitten einer Menschengruppe einsam zu fühlen. Das kann beispielsweise daran liegen, dass es an bedeutungsvollen Verbindungen im eigenen sozialen Umfeld fehlt. Oder man fühlt sich emotional abgekoppelt von den Menschen um einen herum, auch wenn man physisch präsent ist. Eine behandlungsbedürftige Ausprägung ist die soziale Anhedonie. Darunter versteht man die Unfähigkeit, Freude oder Befriedigung aus sozialen Interaktionen zu ziehen, was sich dann so anfühlt wie Einsamkeit in einer Gruppe.

Diese Unterscheidungen zeigen, dass Einsamkeit eine komplexe psychologische Erfahrung ist. Das „Lonely in a Crowd“-Phänomen zeigt außerdem, dass es nicht genügt, dass ein anderer Mensch in der Nähe ist, um Gefühle der Einsamkeit zu verhindern.

Warum ist Einsamkeit ein Problem?

Es gibt mannigfaltige Berichte über die schädlichen Auswirkungen von Einsamkeit. Angefangen von den negativen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit (z.B. erhöhtes Risiko für Depression und Angstzustände, Verstärkung von Stress und negativen Gedankenmustern) über die Auswirkungen auf die physische Gesundheit (Schwächung des Immunsystems, erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen) bis hin zu einer erhöhten Sterblichkeit. So kam Julianne Holt-Lunstad 2015 mit ihrer Untersuchung zu dem Schluss, dass soziale Isolation und Einsamkeit das Sterblichkeitsrisiko um 26-29 % erhöhen können.

Einsamkeit ist aber nicht nur individuell schädlich. Sie hat auch gesellschaftliche Konsequenzen, weil sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden kann. Die Studie zum gesellschaftlichen Zusammenhalt, die die Bertelsmann 2023 durchgeführt hat, geht davon aus, dass die sozialen Beziehungen zwar insgesamt schwächer werden, aber noch intakt sind. Diese positive Einschätzung hat mich überrascht (und auch ein wenig beruhigt).

Einsamkeit und Zufriedenheit

Martin Schröder hat in seinem Buch „Wann sind wir wirklich zufrieden“, darauf hingewiesen, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen Freundschaften und Lebenszufriedenheit gibt. Anders ausgedrückt: Das Fehlen von Freundschaften ist eine Ursache für niedrigere Lebenszufriedenheit.

Schröder weist aber auch darauf hin, dass Menschen maximal fünf enge Freundschaften pflegen können, da jede enge Freundschaft Zeit und Aufmerksamkeit erfordert. Es reicht nämlich nicht aus, diese Freundschaften zu haben – man muss diese Freunde auch treffen, wobei ein monatliches Treffen (aus Sicht der Zufriedenheit) bereits ausreicht. Ein großes Netz an Social Media Kontakten hilft also nicht dabei, die Lebenszufriedenheit zu erhöhen.

Einsamkeit als produktive Kraft

Es gibt in der Psychologie den sogenannten Wahrheitseffekt. Er besagt, dass wir Dinge, die wir öfters hören, für wahr halten. Genau deshalb möchte ich auch eine andere Perspektive auf das Thema Einsamkeit erörtern. Wohlgemerkt: Es geht mir nicht darum, das Thema Einsamkeit kleinzureden. Hochbetagte, Alleinerziehende, Menschen mit niedrigem Einkommen und noch einige andere Gruppierungen haben bedeutend mehr mit Einsamkeit zu kämpfen als andere – und es ist gut, dass das inzwischen erkannt wurde.

Aber nicht jede Einsamkeit ist per se schlecht. Der Soziologe Niklas Luhmann weist darauf hin, dass Einsamkeit auch eine positive Funktion haben kann, indem sie Raum für Selbstreflexion und die Auseinandersetzung mit komplexen Themen bietet.  

Einsamkeit: Kein Grund zur Scham!

Einsamkeit kann jeden treffen – während der Pandemie hat sich gezeigt, dass vermehrt junge Leute davon betroffen sind. Diese Entwicklung hat gezeigt, dass Einsamkeit kein Sonderproblem von hochbetagten Menschen ist. Ab der Lebensmitte gibt es viele Gründe, die Einsamkeit begünstigen – sei also freundlich und mitfühlend mit dir selbst, falls du davon betroffen bist.

  • Leerer Haushalt nach dem Auszug der Kinder: Viele Frauen über 50 erleben, dass ihre Kinder das Haus verlassen haben. Die plötzliche Ruhe und das Fehlen der täglichen Aufgaben führen zu einem tiefen Gefühl der Leere. Sie fragen sich: „Was bleibt jetzt noch von mir?“
  • Verlust des Lebenspartners durch Scheidung oder Tod: Nach Jahrzehnten der Gemeinsamkeit kann der Verlust eines Partners dazu führen, dass man das Gefühl hat, ein Teil von sich selbst sei verschwunden. Alte Routinen brechen weg, und das Gefühl, alleine gelassen worden zu sein, wird überwältigend.
  • Rückzug von langjährigen Freundschaften: Im Laufe der Jahre haben sich Freundschaften vielleicht auf natürliche Weise auseinandergelebt. Manche Freundinnen ziehen weg oder es entstehen unüberbrückbare Differenzen. Das Bedürfnis nach Austausch bleibt, aber die vertrauten Gesichter fehlen.
  • Pflege der Eltern: Die Verantwortung, sich um alternde Eltern zu kümmern, kann isolieren. Der Fokus liegt auf der Betreuung, und es bleibt wenig Raum für eigene soziale Kontakte. Gleichzeitig fühlt man sich oft alleine mit den Belastungen.
  • Berufliche Veränderungen oder Rente: Der Übergang in den Ruhestand oder Veränderungen im Job, wie das Auslaufen eines Projekts oder die Nichtverlängerung eines Vertrags, kann zu einem Identitätsverlust führen. Der Alltag verliert seinen Rhythmus, und mit ihm schwindet auch der Kontakt zu Kolleginnen.
  • Veränderte körperliche Fähigkeiten: Mit zunehmendem Alter können körperliche Beschwerden auftreten, die die Beweglichkeit einschränken. Aktivitäten, die früher Freude gemacht haben, werden mühsam oder unmöglich. Man zieht sich zurück, und das Gefühl der Isolation wächst.
  • Finanzielle Unsicherheit: Wenn finanzielle Engpässe die Möglichkeiten einschränken, am sozialen Leben teilzunehmen, bleibt man oft unfreiwillig alleine. Dinge wie gemeinsame Reisen, Restaurantbesuche oder Hobbys, die man früher genossen hat, sind plötzlich nicht mehr drin.

Hilfreiche Links gegen Einsamkeit

Das Kompetenznetz Einsamkeit bietet umfangreiche Informationen und Hilfe für Betroffene, insbesondere:

Wer sich beruflich umorientieren möchte, der kann sich einen Mentor oder einen Coach als Unterstützung suchen.
Eine sehr bekannte Mentorenplattform ist MentorMe – dort kann man sich sowohl als Mentee oder auch als Mentor eintragen lassen. Und nebenbei bemerkt ist die berufliche Neuorientierung in der zweiten Lebenshälfte auch eines meiner Schwerpunktthemen.

Soziales Engagement hilft ebenfalls aus der Einsamkeit heraus. Viele Städte haben Ehrenamtsbörsen, hier ein Beispiel von Heidelberg. Die übergreifende Plattform The Good Ones bietet kürzere Freiwilligenprojekte bundesweit an.

Buchtipps

Bei meinen Recherchen sind mir die folgenden Bücher begegnet. Sie passen zum Thema, aber ich habe sie – mit Ausnahme des letzten – selbst noch nicht gelesen.

Die Bücher können zusätzliche Informationen geben. Wer aber selbst betroffen ist und das Gefühl der Einsamkeit nicht mehr los wird, dem empfehle ich dringend, sich psychologische Unterstützung zu holen.

Einsamkeit ist ein weites Feld

Bei meinen Recherchen habe ich entdeckt, wie weit und komplex die Thematik ist. Einsamkeit ist kein Phänomen, das ausschließlich Hochbetagte betrifft, sondern quer durch alle Altersgruppen existiert. Bestimmte Gruppen, wie z.B. Hochbetagte, Alleinerziehende, Pflegende Angehörige sind besonders anfällig dafür. Auch Armut erhöht das Risiko und es hängt auch davon ab, wie leicht zugänglich Gemeinschaftsangebote sind. Leider ist das Thema immer noch schambesetzt und die Dunkelziffer ist vermutlich hoch.

Mit diesem Beitrag wollte ich einen Beitrag zur Aufklärung leisten und Betroffene ermutigen, sich Unterstützung zu suchen und Wege aus der Einsamkeit auszuprobieren. In den mittleren Jahren haben wir noch gute Möglichkeiten, etwas dagegen zu unternehmen. Der Versuch, dieses Thema auszusitzen wird nicht fruchten und die Quittung kommt dann in späteren Jahren.


Korina Dielschneider

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