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Warum ich gegen Menstruationsurlaub bin

In den vergangenen Tagen ist mir auf den sozialen Medien das Thema Menstruationsurlaub untergekommen. Erst dachte ich, dass das doch eigentlich eine gute Idee ist. Aber dann habe ich noch einmal darüber nachgedacht und bin zum gegenteiligen Schluss gekommen.

Warum braucht es überhaupt Menstruationsurlaub?

Viele Frauen haben überhaupt keine Beschwerden während der Menstruation. Allerdings gibt es eine gar nicht so kleine Minderheit, die darunter erheblich leidet: laut der Techniker Krankenkasse sind bei 10 von 100 Frauen die Regelbeschwerden so heftig, dass sie ein bis drei Tage pro Monat ihren Alltag nicht bewältigen können. Viele dieser Frauen nehmen starke Schmerzmittel, damit sie den Alltag überhaupt bewältigen in dieser Zeit. Wenige lassen sich krankschreiben, obwohl dies in Deutschland oft der einzig legale Weg ist, um dem Körper eine Auszeit zu gönnen.

Warum ich gegen Menstruationsurlaub bin

In LinkedIn gab es eine Umfrage Sollte es auch in Deutschland Sonderurlaub bei Menstruationsbeschwerden geben? bei der knapp 1600 Menschen geantwortet haben: 73% waren dafür. Ich – nach einigem Nachdenken – nicht.

Menstruation ist keine Krankheit

Es ist ein ganz normaler, natürlicher Vorgang bei Frauen, so wie das Zähnekriegen bei Kleinkindern – nur dass dieser Vorgang jeden Monat über einen relativ langen Zeitraum stattfindet. Ich wehre mich dagegen, dass Weiblichkeit pathologisiert wird.

Wir kurieren Symptome

Das eigentliche Problem ist für mich die Feststellung, dass es um die 4 Millionen betroffene Frauen gibt. Ich wage zu behaupten, dass es längst bessere Therapien gäbe, wenn 4 Millionen Männer allmonatlich solche Schmerzen hätten. Warum nehmen die Frauen diese Schmerzen mehr oder minder stillschweigend hin? Und versuchen auch noch, möglichst zu funktionieren in dieser Zeit? Ist es Scham? Oder die Angst vor der Stigmatisierung?

Nicht nur manche Männer haben kein Verständnis für „das Getue“. Es gibt auch Frauen die denken, dass sich „die Sissies“ nicht so anstellen sollen. Ich denke es fehlt an Wissen und es gibt wenig Druck auf die Entwicklung besserer Therapien. Es scheint die Einstellung vorzuherrschen, dass das zum Frausein halt dazugehört und frau das stillschweigend erdulden muss.

Warum muss es für alles Sonderregelungen geben?

Es gibt auch andere Umstände im Leben, die die Arbeitsfähigkeit einschränken. Schlafstörungen oder extreme Hitzewallungen in den Wechseljahren zum Beispiel. Sollte es dann auch Sonderurlaub für Wechseljahresbeschwerden geben? Wenn das Vertrauen fehlt, braucht es Regelungen. Warum reicht es nicht aus, dass ein Arbeitnehmer erklärt, dass er sich nicht arbeitsfähig fühlt? Beim Software-Unternehmen SAP ist es beispielsweise so geregelt, dass die Arbeitnehmer bis zu 3 Tage Abwesenheit im System erfassen können, ohne ein ärztliches Attest vorzulegen. Wohlgemerkt: nicht 3 Tage pro Jahr, sondern anlassbezogen. Natürlich wird es – wie überall – auch hier Menschen geben, die die Regelungen ausnutzen. Aber glaubt wirklich jemand ernsthaft, dass man dies durch engere Regelungen unterbinden kann? Ganz nebenbei: das Unternehmen FaustTranslations hat den Menstruationsurlaub übrigens bereits eingeführt. Es ist ein sehr kleines Unternehmen – bisher hat keine der Mitarbeiterinnen diesen Urlaub in Anspruch genommen.

Auch eine Frage der Selbstverantwortung

Ein wesentlicher Aufreger für mich an dieser Debatte berührt die Frage der Selbstverantwortung. Warum melden Frauen sich nicht krank? Okay, es ist keine Krankheit, aber die Krankmeldung ist nun einmal der legale Weg, um bei Unwohlsein zu Hause zu bleiben. Warum nutzen sie die Spielräume nicht, die es bereits heute gibt? Warum gehen sie nicht konsequent zum Arzt und nehmen ihre Schmerzen ernst?

Starke Schmerzen, die jeden Monat für mehrere Tage das Alltagsleben beeinträchtigen und vielleicht arbeitsunfähig machen, sind nichts, was man als „natürlich“ hinnehmen müsste.

Techniker Krankenkasse

Natürlich gibt es Frauen, die diese Beeinträchtigung sehr ernst nehmen und auf Lösungen drängen. Ich selbst war nicht so, sondern habe die Regelschmerzen halt irgendwie hingenommen. War glücklicherweise nur sehr selten wirklich schlimm. Es ist auch heute, im 21. Jahrhundert, noch so, dass Frauen sich davor scheuen, ihre eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen. Dahinter stecken oft Glaubenssätze und Prägungen. In meinen Coachings versuche ich genau dagegen anzugehen, und die Frauen zu bestärken ihre eigenen Bedürfnisse (mindestens) genau so ernst zu nehmen, wie die ihrer Mitmenschen.

Sonderregelungen haben auch einen Preis

Für die Wirtschaft wäre es gut, wenn speziell in den Führungsetagen mehr Frauen wären. Das ist durch verschiedenste Untersuchungen hinlänglich belegt, zum Beispiel durch diese, die in der angesehen Harvard Business Review veröffentlicht wurde. Als ich vor vielen Jahren auf Stellensuche war, war ich Anfang 30, verheiratet, kinderlos und ich habe mir die Finger wund geschrieben, obwohl ich eigentlich gut qualifiziert war. Kann natürlich daran liegen, dass meine Unterlagen nicht gut waren und der Arbeitsmarkt war 1996 zweifellos angespannt. Kann aber auch daran liegen, dass den potenziellen Arbeitgebern das Risiko zu groß war, dass ich bald schwanger werde. Der Preis für eine neue, vermeintlich frauenfreundliche, Sonderregel ist, dass noch mehr Arbeitgeber nicht das Risiko eingehen wollen, eine Frau einzustellen. Nicht schön – aber auch nicht von der Hand zu weisen. Und machen wir uns nichts vor: offen aussprechen wird das sowieso keiner. Und doch ist es so, dass der Frauenanteil speziell in Führungsrollen in Deutschland seit Jahren schandhaft schlecht ist.

Statt Sonderregeln für bestimmte Gruppen eine Änderung der Haltung

Nicht alle Unternehmen sind so kulant wie SAP oder FaustTranslations, obwohl Unternehmen diesen Spielraum heute schon hätten. Deshalb finde ich es durchaus sinnvoll, eine gesetzlich festgeschriebenen Regelung zu haben, die es ermöglicht, ohne großen bürokratischen Aufwand eine Auszeit zu nehmen, wenn die Kräfte nicht reichen. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der alles reglementiert ist. Das erstickt die Selbstverantwortung und bindet Kapazitäten (irgendjemand muss die Anträge stellen, verwalten und genehmigen). Kapazitäten, die wir wirklich sinnvoller für anderes nutzen könnten. Davon würden alle profitieren: menstruierende Frauen genauso wie Mitarbeiter (auch Männer!), die vor lauter Stress nicht mehr schlafen können.

Ganz grundsätzlich finde ich, dass es eine Haltungsänderung braucht, damit die Wirtschaft für die Menschen da ist und nicht umgekehrt. Menschen wollen etwas leisten, wenn sie am richtigen Platz sind. Wenn sie nichts leisten können, dann leiden sie selbst am allermeisten darunter. Das sollten wir nicht vergessen. Oder wie Albert Schweizer es formuliert hat

Auf die Füsse kommt unsere Welt erst wieder, wenn sie sich beibringen lässt, dass ihr Heil nicht in Massnahmen sondern in neuen Gesinnungen besteht.

Fazit

Für mich ist der eigentliche Punkt in dieser Diskussion, der nach den Arbeitsbedingungen. Wie können wir die Arbeitswelt menschenwürdiger gestalten. Dabei helfen Sonderregeln für spezielle Gruppen meiner Meinung nach nicht. Eine allgemeine Vereinbarung, die es Arbeitnehmern vereinfacht, bei verminderter Leistungsfähigkeit eine Auszeit zu nehmen, fände ich zielführender. Gleichzeitig finde ich es wichtig, dass jeder Arbeitnehmer, egal ob Frau oder Mann seine Selbstverantwortung ernst nimmt. Das hießt für mich, dass wir körperliche Einschränkungen auf den Grund gehen und nach Lösungen suchen. Das kann der Gang zum Arzt, zum Psychologen oder auch zum Coach sein. Denn das Leben ist zu kostbar, um es nicht zu leben.

Dieser Beitrag hat 10 Kommentare

  1. Susanne

    Mhhh. Beim Titel dachte ich erst, wie kann sie nur 😉 Aber du hast es total auf den Punkt gebracht finde ich: Wie können wir die Arbeitsbedingungen so ändern, dass sich Leute eben nicht mehr schinden, dass sie Pausen machen, wenn es eben nicht mehr geht und die Arbeitgeber*innen verstehen, dass die Menschen ja trotzdem was leisten. Wieso nicht ein paar extra Tage Homeoffice wenn man es braucht? (Das wäre für mich zB eine hilfreiche Lösung) Wieso nicht mehr Urlaub für alle, es ist ja eben keine Krankheit sondern benötigte Erholung. Ich denke da gäbe es schon kreative Lösungen. Die müssen aber so ausschauen, dass Frauen nicht noch mehr am Arbeitsmarkt diskriminiert werden.
    Es gibt ja, wie du sagst, verschiedene Gründe, warum jemand zeitweise nicht so leistungsfähig ist.
    Dass Frauen Schmerzen eher hinnehmen glaub ich auch, so sind wir sozialisiert. „Du musst das ertragen, das gehört eben dazu“. Wieso eigentlich?
    Also sehr cooler Artikel, über den hoffentlich ganz viele mal nachdenken 👍🏻

    1. Liebe Susanne, es freut mich, dass mein Artikel Stoff zum Nachdenken gebracht hat. Es ist ja eigentlich heute schon so, dass viele Arbeitgeber erst ab dem 3. Krankheitstag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verlangen. Und Corona hat hoffentlich in Punkto HomeOffice einiges bewegt. Zum Thema „Schmerzen aushalten“ wäre noch viel zu sagen. Vielleicht schreibe ich dazu irgendwann auch noch was. Oder du? Ich fand jedenfalls deinen Artikel zur Meinungsfreiheit in der Häkelcommunitiy sehr inspirierend. Herzliche Grüße, Korina

      https://susi-haekelt.at/blog-de/wie-diskriminierend-ist-die-haekelcommunity

  2. Sylvia

    Danke für diesen Beitrag. Da ich inzwischen aus dem Menstruationsturnus raus bin, habe ich das Thema eher am Rande, also aus dem Augenwinkel verfolgt. Beim Lesen deines Textes ist mir aufgefallen, wie sehr ich das selbst immer als individuelles Problem betrachtet und den eigenen Körper als Feind empfunden habe.
    Und ja, ich stimme dir zu: es braucht nicht Pathologisierung sondern Haltungsänderung.

    1. Liebe Silvia, vielleicht ist das eine Generationenfrage. Ich weiß nicht ob die jungen Fragen offener sind und ein gesünderes Verhältnis zu ihrem Körper haben. Ich hoffe es. Ich bin jedenfalls einerseits sehr froh, dass die monatlichen Blutungen Vergangenheit sind und empfinde die jetzige Phase als ein Geschenk. Endlich keine Gedanken mehr darüber, ob frau Tampons in den Urlaub mitnehmen soll oder ob der Tampon auch wirklich hält. Ich könnte einige schambehaftete Geschichten dazu erzählen….. Vielleicht kannst du jetzt deinen Körper mehr als deine Freundin betrachten. Auch wenn es natürlich neue Herausforderungen gibt. Wäre sonst auch langweilig, oder?
      Herzliche Grüße, Korina

  3. Judith

    Liebe Korina,
    ich kann Dir nur beipflichten. Ich selber habe oft unter starken Regelschmerzen gelitten. Für mich war es wichtig eine alternative Lösung zu Schmerzmitteln zu finden. Mir hat Yoga sehr geholfen. Und wenn es gar nicht ging, bin ich zu Hause geblieben. Das ging und geht auch heute noch ohne Sonderurlaub.

    1. Danke liebe Judith für das Teilen deiner Erfahrungen. Super, dass dir Yoga gut geholfen hat. Wenn die Arbeitgeber die mögliche Flexibilität ausschöpfen, dann braucht es wirklich keinen Sonderurlaub. Liebe Grüße, Korina

  4. Iris Weinmann

    Liebe Korina, ich danke dir von Herzen, dass du den Mut hattest dieses Thema auzugeifen und zu beleuchten. Zu Beginn habe ich mich gefragt, warum du dagegen bist. Deine Argumentation leuchtet mir total ein. Es geht nicht um Regelschmerzen, sondern es geht um die Haltung und wie du es so treffend beschrieben hast: Die Wirtschaft für die Menschen da ist und nicht anders herum. Das ist ein tolles Zitat. Danke für diesen Rant.

    1. Liebe Iris, Danke für deinen Zuspruch – jedes Mal, wenn wir den Mutmuskel trainieren, sind wir für die nächsten Anforderungen besser gewappnet. Und Rants sind eine wunderbare Gelegenheit diesen Muskel zu trainieren. Herzliche Grüße, Korina

  5. Renate

    Liebe Korina,
    ich verwehre mich, genau wie du, gegen die Pathologisierung von Weiblichkeit, die sich in der Forderung nach Menstruationsurlaub ausdrückt. Ich befürchte, dass das Thema Menstruation an sich so tabuisiert ist, dass sowieso keine in die HR Abteilung geht, um sich aus diesem Grund arbeitsunfähig zu melden. Grundsätzlich stimme ich dir zu, dass die Wirtschaft menschenfreundlicher werden sollte. Darüber können Räume entstehen, ohne besonderer Kennzeichnung gut für sich sorgen zu können, wenn Beschwerden eine nicht arbeitsfähig sein lassen.

    1. Liebe Renate, Danke für deine Gedanken zu diesem Thema. Neue Räume für Selbstfürsorge in Unternehmen: eine schöne Überschrift für die Richtung, in die es gehen sollte. Liebe Grüße, Korina

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