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Warum Scham wichtig ist und wie sie die persönliche Entwicklung unterstützt

Scham fühlt sich nicht gut an – keine Frage. Am liebsten würden wir sie ganz aus unserem Leben verbannen. Aber das klappt nicht. Denn Scham ist kein Fehler der Evolution, sondern hat einen wichtigen Zweck: Scham schützt uns und hilft bei der persönlichen Entwicklung.
Doch unter bestimmten Umständen schadet uns Scham und aus Schutz wird Selbstverurteilung und dauerhafte Selbstkritik. Kein Wunder also, dass wir alles tun, um dieses Gefühl nicht spüren zu müssen. Unsere Schutzstrategien helfen kurzfristig – haben aber einen hohen Preis. Warum Scham mehr kann, als nur weh tun – und wie sie uns bei der persönlichen Entwicklung hilft: Darum geht’s in diesem Beitrag.

Scham – mehr als nur ein unangenehmes Gefühl

Scham ist unangenehm, keine Frage. Was genau Scham eigentlich ist, wie sie entsteht und warum sie uns so tief berührt, erfährst Du ausführlicher in diesem Beitrag über Scham. Aber sie hat mehr zu bieten, als wir auf den ersten Blick denken – es wäre sehr merkwürdig, wenn die Evolution uns mit einem nutzlosen Gefühl ausgestattet hätte.

Welche Funktion hat Scham?

Vereinfacht gesagt entsteht Scham immer im sozialen Kontext, insbesondere durch die (vermutete) negative Bewertung durch andere. Wir können uns zwar auch im stillen Kämmerlein schämen – aber Voraussetzung ist ein empfundener Regelverstoß, sei es ein verinnerlichtes Ideal – das könnte beispielsweise Disziplin oder Effizienz sein – oder das Bewusstsein, gegen eine äußere Regel verstoßen zu haben, z.B. wenn wir beim Spielen schummeln.

Scham sichert unser Überleben

Schwer vorstellbar heute, aber Zugehörigkeit ist ein überlebenswichtiges Bedürfnis. Der Mensch in der Steinzeit konnte als Einzelkämpfer nicht überleben. Am Phänomen des Hospitalismus können wir aber auch heute noch die verheerenden Auswirkungen von fehlender sozialer Interaktion beobachten.

Scham stabilisiert das soziale Gefüge

Auch wenn wir das unangenehme Gefühl am liebsten weghaben würden: Scham sensibilisiert uns für die Meinungen und Empfindungen anderer und wirkt somit als eine Kraft für soziale Kohäsion

Scham unterstützt die Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung

Grundlage für das Empfinden von Scham ist die Unterscheidung von Gut und Böse. Bevor Adam und Eva den Apfel gegessen haben, war Nacktheit die Norm – danach schämten sie sich dafür. Scham dient also als „innerer Alarmsignalgeber“, der auf Normverstöße hinweist.

Gering dosiert spornt Scham an, eigene Schwächen zu überwinden und Idealen nachzueifern, d.h. sie motiviert zur Selbstverbesserung.

Scham als Schutz

Durch die Scham entwickeln wir ein Gespür für unsere Werte, aber auch für die Meinungen und Empfindungen der Anderen. Dadurch hilft sie uns, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und wirkt wie ein moralischer Kompass. Sie hilft uns, mit anderen (und auch mit uns selbst!) achtsam umzugehen, nicht zu übertreten, was zu persönlich oder zu intim ist – und schützt damit unsere Würde. Mit anderen Worten: Scham hilft uns dabei, Grenzen zu wahren. Und Scham kann noch mehr: Wenn wir sie zulassen, statt sie zu verdrängen, wird sie zur Türöffnerin für Entwicklung.

Scham – als Katalysator für die persönliche Reife

Scham hilft uns, uns selbst besser kennenzulernen. Man könnte sagen: Scham zeigt uns, wenn etwas in unserem Leben nicht mehr stimmig ist – wenn wir merken, dass unser Verhalten oder unsere Haltung nicht zu dem passt, wie wir eigentlich sein möchten.

In diesem Sinne kann Scham uns helfen, unser Selbstbild weiterzuentwickeln. Sie fordert uns auf, hinzuschauen: Wer bin ich – und wer will ich sein? Wenn wir diesen Schmerz nicht verdrängen, sondern verstehen und durchleben, kann das ein echter Entwicklungsschritt sein. Scham und persönliche Entwicklung hängen also eng zusammen.

Die Soziologin M.A. Lynd meinte dazu sinngemäß: Um echte Nähe und Freiheit zu erleben, müssen wir uns zeigen – auch mit dem Risiko, uns zu schämen. Wenn wir diesen Moment mit anderen teilen, wird die Scham transformiert. Sie verliert ihren Schrecken und wir wachsen daran.

Kurz gesagt: In einem gesunden Maß hilft uns Scham, zu reifen. Sie stärkt unsere Werte, unsere Haltung – und unser Bild von uns selbst.

Schamentwicklung als Grundlage für eine gute Balance zwischen Eigenständigkeit und sozialer Integration

Die Fähigkeit, Nähe und Distanz in Beziehungen gut zu regulieren, ist ohne ein gesundes Maß an Scham kaum denkbar. Scham hilft uns, sowohl bei uns selbst zu bleiben als auch andere zu respektieren. Der Psychologe Kaufmann bringt es auf den Punkt: „Antworten auf die Fragen ‚Wer bin ich?’ und ‚Wo gehöre ich hin?’ werden im Schmelztiegel der Scham geschmiedet.“

Ohne Scham bleiben wir entweder bindungslos und rücksichtslos – oder verlieren uns in der Angst vor Ablehnung. Erst wenn wir Scham aushalten lernen, statt ihr auszuweichen, können wir in echten Kontakt mit uns und anderen treten. Dann wird sie zur Brücke zwischen Eigenständigkeit und Zugehörigkeit. Der Psychologe Jens León Tiedemann bringt es sehr schön auf den Punkt.

Wenn Scham so wichtig und nützlich ist – warum tut sie dann oft so weh? Und wann wird sie zum Problem?

Wann Scham uns schadet

Schamentwicklung ist also wichtig, damit der Mensch als soziales Wesen überleben kann. Wie kann man sich diesen Prozess vorstellen?

Scham-Schutzstrategien mit Nebenwirkungen

Ein Kind entdeckt zunächst freudig die Welt und schaut dabei nach Bestätigung zu seiner Bezugsperson. Irgendwann kommt der Moment, in dem es statt Freude plötzlich Ablehnung (Ärger, Wut oder sogar Ekel) im Gesicht der Mutter sieht. Das Kind ist verwirrt und schämt sich. Dieses unangenehme Gefühl überfordert das Kind. Im Idealfall hilft die Bezugsperson dem Kind dabei, dieses Gefühl zu regulieren, indem sie Blickkontakt aufnimmt oder das Kind in den Arm nimmt. Wenn das wiederholt nicht passiert, fängt das Kind an, Strategien zu entwickeln, um mit dieser schmerzhaften Situation umzugehen. Wir dürfen nicht vergessen, dass dieser Prozess sich in frühester Kindheit abspielt. Das Kind ist also vollkommen abhängig von der Bezugsperson und ihrem Wohlwollen. Eine Strategie besteht z.B. darin, sich innerlich zurückzuziehen und dieses unangenehme Gefühl zu verdrängen. Es erscheint logisch, dass das Kind die Vorstellung entwickelt „Mit mir stimmt etwas nicht“ Warum sonst, reagiert die Bezugsperson ablehnend. Die Freude an sich selbst und dem eigenen Ausdruck wird unsicher oder unterdrückt und der Eindruck „Ich bin nicht gut genug“ verfestigt sich.

„Ich bin nicht gut genug“ – wenn Scham die innere Wahrheit ist

Wir haben gesehen, dass sich aus frühkindlichen Erfahrungen eine hartnäckige Überzeugung entwickeln kann, nicht gut genug zu sein. Dieses Grundgefühl ist oft nicht laut, aber es wirkt unterschwellig – als Perfektionismus, übermäßige Anpassung (also fehlendes Einstehen für sich selbst), Angst vor Kritik oder der ständige Druck, viel leisten zu müssen. Wie sich diese inneren Überzeugungen in Form von Selbstsabotage zeigen können, beschreibe ich in diesem Artikel. Sehr viele Coachingthemen lassen sich auf diese Thematik zurückführen. Und, Du kannst mir glauben, Du bist damit wirklich nicht alleine, denn es betrifft viele.

Scham für die persönliches Entwicklung – ein Katalysator für mehr Verbindung

Wenn Du Dich darin wiedererkennst, dann gibt es Hoffnung, denn den ersten und sehr wichtigen Schritt hast Du bereits getan: Zu erkennen, dass „Nicht gut genug sein“ Dein Thema ist. Sobald Du außerdem erkennst, dass dieser Satz keine feststehende Wahrheit, sondern erlernt ist, dann kannst Du vielleicht die Vorstellung zulassen, dass Du diese Überzeugung auch wieder verlernen kannst. Für den Anfang hilft dabei, Dir selbst mit Selbstmitgefühl zu begegnen. Warum Selbstmitgefühl gerade in der Persönlichkeitsentwicklung so wichtig ist, liest Du in diesem Beitrag.

Im Kern geht es beim Selbstmitgefühl darum, dich selbst genau so liebevoll zu behandeln, wie Du das mit Deiner lieben Freundin tust. Du könntest Dir also selbst gut zureden: Es war schwer. Ich habe gelernt, mich zu schützen. Aber heute bin ich Erwachsen und brauche diese Strategie nicht mehr. Ich darf mir selbst freundlicher, ehrlicher und mutiger begegnen und mich über jeden noch so kleinen Fortschritt freuen.

Auch wenn der Weg nicht einfach ist: Scham kann der Anfang von einer tiefen Verbindung zu Dir selbst und Anderen sein.

Fazit: Scham als Entwicklungshelferin

Scham ist ein tief menschliches Gefühl – manchmal schwer auszuhalten, aber mit unterschiedlichen und wichtigen Funktionen für unser Leben. Sie schützt unsere Würde, stärkt das soziale Miteinander und kann uns zu einem tieferen Verständnis von uns selbst führen. In einem gesunden Maß hilft sie uns, Grenzen zu wahren und unsere Werte zu klären.
Problematisch wird sie dann, wenn sie uns dauerhaft kleinmacht – oft geprägt durch frühe Erfahrungen. Dann entsteht die Überzeugung: Ich bin nicht gut genug. Doch genau hier liegt auch die Chance zur Veränderung. Denn erlernte Überzeugungen können wir auch wieder verlernen.

Der Weg beginnt mit Bewusstheit und Selbstmitgefühl. Und mit dem Mut, Dich Dir selbst liebevoll zuzuwenden. Schritt für Schritt.


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