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Selbstvertrauen in der Lebensmitte: Wenn das Ich ins Wanken gerät

Als ich 2020 meine Arbeit als Managerin in einem IT-Unternehmen beendete und kurz darauf Corona auch mein Leben durcheinanderwirbelte, war ich 56 Jahre alt. Diese persönliche Erfahrung hat mir gezeigt, wie sehr das Selbstvertrauen auch in der Lebensmitte ins Wanken geraten kann.

Doch wodurch gerät ausgerechnet in dieser Lebensphase unser Ich ins Wanken? Die Antworten darauf sind vielfältig und betreffen sowohl unsere persönliche Entwicklung als auch gesellschaftliche Erwartungen, denen wir uns ausgesetzt sehen.

Warum die Lebensmitte unser Selbstvertrauen erschüttert

Eines vorweg: Nicht jeder Mensch in der Lebensmitte bemerkt Erschütterungen im Selbstvertrauen. Genau so wie nicht alle Frauen in der Lebensmitte unter Wechseljahresbeschwerden leiden. Dieser Beitrag richtet sich an alle, die mehr darüber erfahren möchten, warum Selbstvertrauen nicht nur in jungen Jahren ein Thema ist.

In der Lebensmitte treffen äußere und innere Veränderungen oft unser Selbstvertrauen. Körperliche Alterszeichen und gesellschaftlicher Druck, der Jugendlichkeit glorifiziert, setzen uns zu. Hinzu kommen Rollenwechsel – Kinder ziehen aus, Eltern werden pflegebedürftig, und im Beruf übernehmen Jüngere Führungspositionen. Das kann unser Selbstbild und die Identität erschüttern. Gleichzeitig hinterfragen wir unseren Lebensweg und stellen uns Fragen wie: „War das alles richtig?“ Diese Unsicherheiten fordern uns heraus, unser Selbstvertrauen neu zu stärken.

Bevor wir an die Stärkung gehen, halte ich es für wichtig zu verstehen, worauf unser Selbstvertrauen eigentlich basiert. Denn wenn wir die Grundlagen kennen, können wir gezielt an einer Stärkung arbeiten.

Das Fundament verstehen: Selbstkonzept und Selbstwert

Wir können uns das Selbstkonzept wie das innere Fundament oder wie ein vielschichtiges Haus vorstellen: Das Fundament wurde in der Kindheit gelegt, weitere Stockwerke kamen im Laufe des Lebens hinzu. In der Lebensmitte merken wir oft, dass einige Räume renovierungsbedürftig sind oder gar umgebaut werden müssen.

Was ist das Selbstkonzept?

Das Selbstkonzept ist unser inneres Bild davon, wer wir sind, was wir können und was uns ausmacht. Es umfasst alle Gedanken, Überzeugungen und Vorstellungen, die wir über uns selbst haben und beeinflusst maßgeblich, wie wir Situationen wahrnehmen, bewerten und auf Herausforderungen reagieren. Es beeinflusst deshalb sowohl unsere Selbsteinschätzung als auch die Art und Weise, wie wir Beziehungen zu anderen Menschen gestalten.

Wie entsteht unser Selbstkonzept?

Die Entwicklung unseres Selbstkonzepts ist ein lebenslanger Prozess, der sich von innen nach außen in verschiedenen Schichten entfaltet:

Innere Erfahrungen und Selbstwahrnehmung umfassen eigene Gefühle und Gedanken, persönliche Erfolge und Misserfolge sowie die Entwicklung von Fähigkeiten und Kompetenzen. Nahe soziale Beziehungen beinhalten Reaktionen der Eltern und Familie, Feedback von engen Freunden und Erfahrungen in Partnerschaften. Erweiterte soziale Kontexte schließen Erlebnisse in Schule und Beruf, Rückmeldungen von Kollegen und Vorgesetzten sowie Vergleiche mit Gleichaltrigen ein. Dabei sind die Bereiche nicht unabhängig voneinander, sondern beeinflussen sich gegenseitig.

All diese Entwicklungsschritte finden innerhalb eines bereits bestehenden gesellschaftlichen und kulturellen Rahmens statt. Vorherrschende Werte und Normen, gesellschaftliche Rollenerwartungen sowie mediale Vorbilder und Ideale bilden dabei die Kulisse, vor der sich unser Selbstkonzept von Geburt an entwickelt und formt. Diese vielschichtige Entwicklung unseres Selbstkonzepts wirft eine interessante Frage auf: Wie kann etwas, das durch so viele verschiedene Einflüsse geformt wird, gleichzeitig beständig und wandelbar sein? Die Antwort liegt in der besonderen Dynamik unseres Selbstkonzepts.

Stabilität und Wandel

Es ist leicht nachvollziehbar, dass eine gute Balance zwischen den Polen Stabilität und Veränderbarkeit wichtig ist für das Wohlbefinden und die persönliche Zufriedenheit. Ein stabiles Selbstkonzept bietet Orientierung und Sicherheit, während die Wandlungsfähigkeit den Raum für Wachstum und Anpassung schafft.

Die Vorteile der Stabilität erschließen sich am einfachsten, wenn wir uns vorstellen, sie wäre nicht vorhanden. Stellen wir uns so einen Menschen wie ein Chamäleon vor, das, je nach Umgebung, ständig seine Farbe anpasst. So ein Mensch wird von außen wie ein Fähnchen im Wind wahrgenommen. Er ändert häufig seine Meinung, weiß vielleicht gar nicht, was Authentizität für ihn bedeuten würden und hat Mühe, verlässliche Entscheidungen zu treffen. Für die Mitmenschen erscheint er dadurch unzuverlässig und wankelmütig. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass dies kein Boden ist, auf dem tragfähigen Beziehungen gut gedeihen.

Bedeutung für die Lebensmitte

Wenn sich äußere Umstände und Rollen verändern, müssen wir oft auch unser inneres Bild anpassen. Es gibt verschiedene Gründe, warum der Mensch Veränderungen nicht aktiv sucht (Ausnahmen bestätigen natürlich diese Regel). Aber in der Lebensmitte bietet die veränderte Ausgangslage auch verschiedene Chancen: Wir können  überholte Selbstbilder überprüfen, neue Facetten entdecken oder auch unser Selbstkonzept weiterentwickeln

Der nächste Abschnitt wird sich damit beschäftigen, wie eng das Selbstkonzept mit unserem Selbstwert verbunden ist und welche Rolle beide für ein stabiles Selbstvertrauen spielen.

Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen: Der emotionale Gradmesser

Nachdem wir verstanden haben, wie sich unser Selbstkonzept entwickelt und verändert, stellt sich die Frage: Wie bewerten wir eigentlich dieses Bild von uns selbst? Hier kommt das Selbstwertgefühl ins Spiel – unsere emotionale Beziehung zu uns selbst.

Selbstvertrauen und Selbstwert hängen eng zusammen: Selbstvertrauen bezieht sich auf das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, während Selbstwert das grundsätzliche Gefühl betrifft, sich selbst als wertvoll anzusehen. In der Lebensmitte kann der Selbstwert durch äußere und innere Veränderungen ins Wanken geraten, was wiederum das Selbstvertrauen beeinflusst. Wer seinen Selbstwert stärkt, gewinnt oft auch mehr Vertrauen in das eigene Handeln.

Was versteht man unter Selbstwertgefühl?

Das Selbstwertgefühl ist wie ein innerer Kompass, der anzeigt, wie wertvoll wir uns selbst einschätzen. Es ist die emotionale Bewertung unseres Selbstkonzepts: Während das Selbstkonzept beschreibt, wer wir sind, sagt uns das Selbstwertgefühl, wie wir zu dieser Person stehen.

Dabei kann man zwischen stabilem und situativem Selbstwert unterscheiden.

Stabiler SelbstwertSituativer Selbstwert
– Bildet sich über Jahre hinweg
– Gleicht einem inneren Ankerpunkt
– Bleibt auch in Krisen weitgehend erhalten
– Basiert auf grundlegenden Überzeugungen über den eigenen Wert
– Schwankt je nach Situation oder Tagesverfassung
– Reagiert auf aktuelle Erfolge / Misserfolge
– Kann sich durch einzelne Ereignisse kurzfristig verändern
Unterschiedliche Selbstwertzustände

Diese Unterscheidung zeigt, dass Selbstwert keine feste Größe ist. Obwohl man erwarten könnte, dass der Selbstwert mit zunehmendem Alter stabiler wird, können die vielen Veränderungen in der Lebensmitte zu Selbstwerteinbrüchen führen. Auch wenn es sich in der Situation nicht gut anfühlt: Es liegt auch eine Chance darin. Denn erst das Unbehagen in dieser Situation öffnet die Tür zur Neuausrichtung und ermöglicht dadurch, alte Muster loszulassen und den Selbstwert auf eine tiefergehende, authentischere Grundlage zu stellen. Wer sich diesen Herausforderungen stellt, hat die Möglichkeit, mit einem gestärkten und klareren Selbstverständnis in den nächsten Lebensabschnitt zu gehen – oft freier von äußeren Erwartungen und stärker in der Verbindung zu den eigenen Werten.

Wie stark ist Dein Selbstwertgefühl?

Bevor wir uns den verschiedenen Quellen des Selbstwerts widmen, möchtest Du vielleicht einen Moment innehalten und Dein eigenes Selbstwertgefühl reflektieren. Der nachfolgende Link führt zu einem Online-Test: Rosenberg Selbstwertskala Test. Der Test wurde von dem Soziologen Morris Rosenberg 1965 entwickelt, ist wissenschaftlich validiert und einfach durchzuführen. Besonders hilfreich finde ich, dass das Ergebnis (ein Punktwert zwischen 10 und 60) und es auch einen Referenzwert aus einer deutschen Studie gibt.

Die Quellen unseres Selbstwerts

Unser Selbstwert (im Alltagssprachgebrauch auch als Selbstwertgefühl bezeichnet, obwohl es eigentlich kein Gefühl ist) speist sich aus verschiedenen Quellen:

Innere QuellenÄußere Quellen
– Selbstakzeptanz und Selbstmitgefühl
– Persönliche Werte und deren Verwirklichung
– Eigene Fähigkeiten und deren Entwicklung
– Authentizität im Handeln
– Anerkennung durch andere
– Beruflicher oder sozialer Status
– Materielle Erfolge
– Äußere Erscheinung
Quellen des Selbstwertgefühls

Gerade in der Lebensmitte wird deutlich, wie unterschiedlich tragfähig diese Quellen sind. Während äußere Quellen oft von Veränderungen betroffen sind – zum Beispiel durch berufliche Umbrüche oder körperliche Alterungsprozesse – erweisen sich innere Quellen als stabiler und nachhaltiger.

Selbstvertrauen aufbauen durch Stärkung der inneren Quellen

Selbstvertrauen aufzubauen bedeutet, sich auf innere Quellen zu besinnen und diese zu stärken. Dies beginnt mit Selbstakzeptanz und Selbstmitgefühl – einer wohlwollenden Haltung gegenüber unseren Stärken und Schwächen. Gleichzeitig geht es darum, unsere persönlichen Werte zu erkennen und aktiv zu verwirklichen, was unserem Leben Sinn und Richtung gibt. Die Entwicklung eigener Fähigkeiten spielt ebenfalls eine zentrale Rolle, da jeder Fortschritt unser Vertrauen in uns selbst stärkt. Schließlich ist Authentizität im Handeln entscheidend: Wenn wir im Einklang mit unserem wahren Selbst agieren, wächst unser Selbstvertrauen auf natürliche Weise. Diese inneren Quellen bilden ein stabiles Fundament für ein robustes Selbstvertrauen, das unabhängig von äußeren Umständen Bestand hat.

Selbstvertrauen in der Lebensmitte: Das Tor zu einer starken, selbstbewussten zweiten Lebenshälfte

Ein gesundes Selbstwertgefühl zeichnet sich durch eine ausgewogene Mischung aus Stabilität und Flexibilität, inneren und äußeren Quellen sowie Selbstakzeptanz und Entwicklungswillen aus. Diese Balance ist kein statischer Zustand, sondern ein dynamischer, lebenslanger Prozess. Besonders wichtig wird sie in Phasen des Übergangs, also z.B. in der Lebensmitte beim Übergang von der ersten in die zweite Lebenshälfte.

In der Lebensmitte wird die Bedeutung dieser Balance besonders deutlich. Während äußere Quellen des Selbstwerts – wie beruflicher Status oder körperliche Erscheinung – Veränderungen unterworfen sind, erweisen sich innere Quellen als stabiler und nachhaltiger. Die Herausforderung besteht darin, die Verschiebung hin zu inneren Quellen des Selbstwerts bewusst zu gestalten.

Dieses Bewusstsein für die Quellen unseres Selbstwerts und die Notwendigkeit einer Neuausrichtung in der Lebensmitte ist der erste Schritt. Es ermöglicht uns, die Veränderungen dieser Lebensphase nicht als Bedrohung, sondern als Chance zur persönlichen Weiterentwicklung zu begreifen.

Ein stabiler Selbstwert bildet das Fundament für ein starkes Selbstvertrauen. Wenn wir unseren inneren Wert erkennen und akzeptieren, fällt es uns leichter, an unsere Fähigkeiten zu glauben und Herausforderungen selbstsicher anzugehen. Diese Verbindung zwischen Selbstwert und Selbstvertrauen ist entscheidend: Je mehr wir unseren Selbstwert aus inneren, stabilen Quellen schöpfen, desto robuster und belastbarer wird unser Selbstvertrauen.

In diesem Beitrag habe ich 3 effektive Übungen für mehr Selbstvertrauen beschrieben. In kommenden Beiträgen werde ich weitere Strategien, Übungen und Einsichten teilen, die Dir dabei helfen können, Dein Selbstwertgefühl zu festigen und ein Dein Selbstvertrauen für die Herausforderungen und Chancen der zweiten Lebenshälfte auszubauen. Bleib dran – die Reise zu Deiner starken, selbstbewussten zweiten Lebenshälfte lohnt sich.


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