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Vertrauen aufbauen: 3 effektive Übungen für mehr Selbstvertrauen

In diesem Beitrag beleuchte ich eine besondere Art des Vertrauens: Das Selbstvertrauen, also das Vertrauen zu sich selbst. Anlass dafür war Gesa Oldekamps Blogparadenaufruf mit der interessanten Fragestellung: Wie bauen wir (wieder) mehr Vertrauen auf? Sie stellt fest, dass in vielen Bereichen das Vertrauen abgenommen hat und gleichzeitig Vertrauen der Kitt ist, der unser Zusammenleben in Familie, Arbeit, Freizeit und Gesellschaft möglich macht. Sie fragt sich, wie wir Vertrauen bewahren und (wieder) aufbauen können.
Als Midlife-Coach begegnet mir das Thema Vertrauen häufig in der Form des Selbstvertrauens. Da spielt es nämlich eine wichtige Rolle bei allen Arten von Veränderungsprozessen.

Eingrenzung eines vielschichtigen Phänomens

Vertrauen spielt in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen eine Rolle. Ich verstehe darunter den Glauben daran, dass jemand oder etwas zuverlässig, ehrlich oder loyal ist. Wenn das so ist, dann glaube ich, dass ich mich auf eine Person, eine Gruppe, eine Organisation oder ein System verlassen kann, ohne dass ich das ständig überwachen oder kontrollieren muss. Oder anders ausgedrückt: Am Anfang steht eine innere Ungewissheit, ausgelöst durch mangelndes Vertrauen. Oft denkt man dabei nach aussen: Arbeitsbeziehungen, Institutionen, usw. In diesem Beitrag fokussiere ich mich auf das Vertrauen nach innen, also das mangelnde Vertrauen in sich selbst. Aber wie entsteht Selbstvertrauen eigentlich?

Der Anfang von allem: Das Urvertrauen

In einer perfekten Welt entwickeln Menschen bereits im Mutterleib und in den ersten Lebensmonaten eine innere emotionale Sicherheit. Diese Sicherheit entsteht, wenn das Neugeboren die positive Erfahrung macht, dass die Umwelt positiv und zuverlässig auf die eigenen Bedürfnisse reagiert. Natürlich erlebt es auch das Gegenteil, denn die Bezugspersonen können nicht immer sofort alle Bedürfnisse erfüllen. Für eine gesunde Entwicklung sind beide Erfahrungen wichtig – allerdings muss die positive Erfahrung überwiegen. Wenn alles gut läuft, hat der Mensch dieses Urvertrauen erfahren und kann daher im späteren Leben ein gutes Selbstwertgefühl entwickeln.

Selbstwertgefühl

Selbstwertgefühl hat nach Sigrid Engelbrecht drei Komponenten: Selbstakzeptanz (ich bin gut so wie ich bin), Selbstvertrauen (ich traue mir etwas zu) und kommunikative Kompetenz (ich nehme meinen Platz ein).

Selbstakzeptanz ermöglicht erst die Entwicklung von Selbstvertrauen, denn wenn ein Mensch sich nicht selbst akzeptiert, dann wird er sich auch nicht viel zutrauen. Zum Selbstwertgefühl gehört auch, welchen Platz wir in einer Gruppe einnehmen. Ist es der Platz, den wir uns wünschen? Können wir für uns selbst einstehen oder ordnen wir uns zu sehr den Bedürfnissen anderer unter?

Wie bauen wir Selbstvertrauen auf?

Wenn das Selbstwertgefühl und damit das Selbstvertrauen stark von frühkindlichen Erfahrungen abhängt, was machen dann diejenigen, die nicht so viel Glück hatten? Ich denke, dass Vertrauen wie andere Tugenden (z.B. Mut) bis zu einem gewissen Grad trainierbar ist. Jemand, der viel Urvertrauen entwickeln konnte, wird sich damit natürlich leichter tun. Es scheint außerdem eine genetische Komponente zu geben. Dennoch spielen die individuellen Erfahrungen die weitaus größere Rolle.  Wichtig erscheint mir hier, dass nicht alles für jeden machbar ist. Aber wer gar nichts tut, der wird sein Selbstwertgefühl nur zufällig entwickeln oder gar nicht.

3 einfache und effektive Übungen für mehr Selbstvertrauen

In diesem Abschnitt beschreibe ich drei einfache Übungen, mit denen du das Vertrauen in dich selbst aufbauen kannst. Im Internet gibt es unter dem Stichwort „Selbstvertrauen aufbauen“ eine große Auswahl weiterer Übungen. Entscheidend ist – wie so häufig – überhaupt zu üben.

1. Komplimente annehmen

Komplimente sind Geschenke. Und genau wie bei Geschenken kann man sie mehr oder weniger geschickt annehmen. Ich mache gerne Geschenke. Vor allem unerwartete. Als Schenkender freue ich mich dann über die Freude und Überraschung des Anderen. Manchmal bekomme ich zu hören „Ach, das wäre doch nicht nötig gewesen“ – das wirkt dann wie ein Eimer eiskaltes Wasser auf die Flamme meiner Begeisterung. Schade eigentlich.

Genauso geht es mit Komplimenten. „Das hast du toll gemacht“ ist eine sehr schöne Anerkennung der eigenen Arbeit. Darauf zu antworten „Ach, das ist doch nicht der Rede wert“ oder „Ja, schon, aber xyz ist mir nicht gut gelungen“ ist eine verpasste Gelegenheit zur Freude für beide Seiten.

Deshalb besteht die erste Übung darin, sich ein paar Sätze zurechtzulegen, wie du angemessener auf Lob und Komplimente reagieren kannst. „Ach, wirklich? Das freut mich ja!“ „Danke, dass es dir aufgefallen ist. Ich habe mir auch wirklich Mühe gegeben“. Bei Komplimenten zu Kleidungsstücken bitte NICHT erwidern, wie günstig du sie erstanden hast. „Danke, ich finde auch, dass mir diese Farbe/der Schnitt sehr gut steht“. Als Trockenübung ein paar Standardsätze zurechtzulegen, hilft manchmal, den Überraschungsmoment zu überwinden.

Du kannst die Übung auch erweitern und besonders darauf achten, wie Andere auf Komplimente reagieren. Das ist ganz einfach, wenn du selbst Komplimente großzügig verteilst. Es geht nur darum, die Reaktion wahrzunehmen und zu beobachten, was sie in dir auslöst. Es ist überhaupt nicht notwendig, die Antwort deines Gegenübers zu kommentieren. Es geht mehr darum, dass du die Reaktionen, die dir gut gefallen, in eine Art „inneres Schatzkästlein“ packst, von wo du sie bei Gelegenheit wieder herausholen kannst.

2. Eine Lobliste führen

Als meine Kinder jünger waren und ich (zu) oft mit ihnen geschimpft habe, kam ich auf die Idee, ein Lobheft zu führen. Dort habe ich jeden Abend etwas hineingeschrieben, was sie an diesem Tag gut gemacht haben. Das Heft lag dann beim Frühstück auf dem Tisch und sie konnten lesen, was ich hineingeschrieben habe. In dunkleren Stunden konnte ich auch selbst darin lesen und mit eigenen Augen sehen, wie viel Gutes meine drei wunderbaren Kinder immer wieder gemacht haben. Auch heute noch schreibe ich mir positive Kommentare von meinen Kund:innen auf. Das hilft sehr in den Zeiten, in denen irgendwie nichts klappen will.

3. Journaling zur Steigerung des Selbstvertrauens

Vereinfacht gesprochen geht es beim Journaling um das „Nachdenken mit dem Stift in der Hand“. Es hilft enorm dabei, Klarheit zu gewinnen. Es ist etwas, das du jederzeit tun kannst, und bei dem du auf niemanden angewiesen bist. Die ausführliche Methode ist sehr gut in Gabriele Andlers Buch Wort Werk beschrieben.

Die Methode geht so: erst verbindest du dich mit deiner Mitte. Dann vervollständigst du einen Satzanfang. Du schreibst einfach drauflos: ungefiltert und wirklich alles, was dir durch den Kopf geht. Es geht darum, immer im Schreibfluss zu bleiben. Wenn dir nichts mehr einfällt, kannst du schreiben „jetzt fällt mir nichts mehr ein“ oder du kannst den Satzanfang wiederholen, oder du machst einfache Schwungübungen auf dem Papier. Gabriele Andler sagt dazu: Lass die Worte fließen, ohne darüber nachzudenken, ohne den Stift abzusetzen und ohne den Anspruch, dass es schön klingen und aussehen muss. Schreibe so lange wie die Worte fließen, erfahrungsgemäß sind 5-10 Minuten eine gute Zeit. Wenn es dir hilft, dann stelle dir einen Wecker.

Wenn du es direkt ausprobieren willst, dann hol dir Stift und Papier und setze dich an deinen Schreibplatz. Setze dich bequem hin, schließe die Augen und atme 5 Mal langsam und tief ein und aus. Beobachte den Weg, den dein Atem durch deinen Körper nimmt. Nach 5 Atemzügen öffne die Augen und stelle dich gedanklich auf das Schreiben ein. Vervollständige den folgenden Satz:

Wenn ich mir selbst wirklich vertraue, dann……..

Erfahrungsgemäß ist es auch überraschend, was sich auf dem Papier zeigt. Ich hoffe, diese 3 einfachen Übungen haben dich inspiriert. Im nächsten Abschnitt schauen wir, warum die Entwicklung von Selbstvertrauen überhaupt wichtig ist.

Warum ist die Entwicklung von Selbstvertrauen wichtig?

Die kurze Antwort darauf: Es ist die Grundlage für das Vertrauen in Andere. Nur wer sich selbst vertraut, kann anderen vertrauen. Wer anderen nicht vertraut, hält sie klein. Vielleicht kennst du Führungskräfte, die Mikromanagement betreiben? Oft ist der Grund fehlendes Selbstvertrauen. Sie müssen alles kontrollieren, weil sie es sich nicht erlauben können, dass sie oder ihr Team Fehler macht.

Wenn ich mir selbst nicht vertraue, bin ich auf einer tiefen Ebene schutzlos und erlebe die Komplexität der Welt (Globalisierung, Digitalisierung, demographischer Wandel, Kriege….) als bedrohlich. Diese beängstigende Erfahrung führt je nach Typ zu unterschiedlichen Reaktionen: Flucht (also Rückzug), Totstellen (Kopf in den Sand) oder Angriff (z.B. wenig Toleranz gegenüber Andersdenkenden, Arbeitslosen, Impfgegnern, Flüchtlingen….). Unsere freiheitliche Grundordnung ist derzeit stark gefährdet – ich denke, dass mangelndes Selbstvertrauen dazu einen Beitrag leistet.

Andere vertrauen uns eher, wenn wir uns selbst vertrauen

Aber auch andersherum wird ein Schuh daraus: Wer sollte mir vertrauen, wenn ich mir selbst nicht vertraue? Das zeigt sich besonders bei der Bewerbung um Führungspositionen bei der Jobsuche. Frauen sind auf Führungspositionen immer noch unterrepräsentiert. Das liegt einerseits an fehlenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten und Teilzeitangeboten für Führungskräften. Aber: Weil Frauen ihre Erfolgschancen im Wettbewerb um Führungspositionen tendenziell geringer einschätzen als Männer, bewerben sie sich auch seltener. Männer bewerben sich auch auf Stellen, bei denen sie nur einen Teil der Anforderungen erfüllen. Frauen brauchen in dieser Hinsicht deutlich mehr Sicherheit.

Bei einer Netzwerkveranstaltung mit weiblichen Gründerinnen sagte Dr. Stephanie Walther zum Thema fehlendes Selbstvertrauen „Warum sollte ich jemanden einstellen, wenn er selbst nicht an den Erfolg glaubt?“

Ohne Selbstvertrauen geht es nicht

Die Ausgangsfrage von Gesas Blogparade lautete „Wie bauen wir (wieder) mehr Vertrauen auf?“ Beim Nachdenken darüber ist mir die herausragende Stellung des Selbstvertrauens bewusst geworden. Auch wenn ich drei Übungen genannt habe, so liegt doch der Schwerpunkt des Beitrags darauf, wie sich Selbstvertrauen entwickelt und wie es sich auswirkt, wenn es fehlt. Wenn ein Mensch wenig Selbstvertrauen hat, dann helfen auch äußere Strukturen und Zusicherungen nicht, um vertrauen zu können Die Natur des Vertrauens ist es ja gerade, dass wir auf den guten Ausgang einer Sache hoffen, obwohl wir es zu dem Zeitpunkt nicht wissen können. Ohne diese Ungewissheit bräuchte es kein Vertrauen. Aber machen wir uns nichts vor: Mangelndes Selbstvertrauen ist ein komplexes Phänomen, das sich in den meisten Fällen nicht durch Selbstcoaching-Methoden beheben lässt. Es ist eher ein Thema für ein Coaching. Dennoch halte ich es für eine gute Idee, erst einmal mit den Übungen anzufangen, denn durch Nichtstun wird sich dieses Thema ganz bestimmt nicht erledigen.


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