Dieses Interview entstand im Rahmen des „Aufbruch Lebensmitte Netzwerktreffens“. Ungefähr ein Mal im Monat treffen sich Frauen ab der Lebensmitte online zum Austausch. Am 12. Mai 2023 war Jutta Büttner zu Gast und wir haben uns über ehrenamtliches Engagement und Sinn im Leben unterhalten. Hier findest du weitere Infos zu diesem Format und kannst dich dafür anmelden: Anmeldelink
Jutta, du bist Psychologin und Kommunikationsexpertin mit dem Spezialgebiet wertschätzende Kommunikation. Heute geht es aber um das Thema Ehrenamt. Was hat dich dazu bewogen, das Thema im Aufbruch-Lebensmitte Netzwerktreffen darüber zu sprechen?
Ich habe deinen buntbrief bekommen. Du hast geschrieben, dass du so viele deiner Fähigkeiten im Ehrenamt gelernt hast, teilweise war dir gar nicht klar, was du von deinen Fähigkeiten, die du beruflich wahrscheinlich nicht brauchst, dort einsetzt und wie dich das verändert hat. Das hat mich sofort angesprochen.
Wie bist du zum Ehrenamt gekommen?
Seit ich denken kann, habe ich mich ehrenamtlich engagiert. Als Jugendliche habe ich eine Kindergruppe angeleitet, beim Handball als Schiedsrichterin gepfiffen, über 10 Jahre eine Zeltfreizeit für Mädchen organisiert und eine Kindergarde trainiert. Später habe ich den Förderverein der Grundschule meiner Kinder als Schriftführerin unterstützt, war in einer Volleyball-Freizeitmannschaft aktiv, Sternsingen und schließlich kam mein Engagement für Menschen mit geistiger Behinderung dazu.
Das ist eine sehr bunte Palette an unterschiedlichen Tätigkeiten. Was gibt dir das Ehrenamt?
Das Ehrenamt erfüllt für mich eine bunte Mischung aus unterschiedlichen Bedürfnissen:
- Ich kann etwas mitgestalten. Das ist mir sehr wichtig. Durch meinen Beitrag verändert sich eine Gemeinschaft, ein Verein, meine Stadt. Es ist nicht nur ein Spruch, dass Kinder vom Dorf erzogen werden. Es ist tatsächlich so. Und erziehen kann das Dorf nur über Vereine und Gemeinschaften, in die wir eintreten und mitmachen.
- Ich kann mich verändern, Neues lernen. Es ist nicht festgeschrieben, diese Aufgabe über Jahre zu übernehmen. Es gibt kurze Engagements und langfristige. Ich kann ein- und aussteigen. Das hängt wieder mit meinem Bedürfnis nach Selbstbestimmung zusammen. Und ich finde, ich kann schön sehen, wie sich meine Lebensthemen verändert haben. Jetzt würde ich nicht mehr Schiedsrichtern oder Fördervereine in der Grundschule leiten.
- Ich gehöre dazu. Es gibt ein Netzwerk und egal was ich brauche, ich kann dieses Netzwerk anzapfen. Das Leben ist eine Wundertüte und Unterstützung ist so wichtig. Gleichzeitig kann ich Menschen unterstützen, Kontakte herstellen, die vorher nicht da waren.
- Ich kann mich weiterentwickeln. Nach der Zeit im Förderverein kann ich jetzt Kasse prüfen. Das hätte ich davor einfach überhaupt nicht in Erwägung gezogen.
- Ich leiste einen Beitrag und erlebe Sinn.
Welchen Zusammenhang siehst du zwischen deinem Beruf und dem Ehrenamt?
In meinem Fall ist es wechselseitig. Ich habe zuerst ein Handwerk gelernt und bin Damenschneiderin. Nach dem Abitur war es mir wichtig, etwas Handfestes zu lernen. Bereits während der Lehrzeit war mir klar, dass das nicht so ganz genau das richtige ist. Durch all die Dinge, die ich ehrenamtlich getan habe, wusste ich, ich kann noch soviel anderes: organisieren, Gruppen führen, Menschen begeistern. Dann war es ganz leicht, mir ein Studium auszusuchen. Gerade jetzt bin ich in einem Verein aktiv, der mit meinem Beruf eng zusammenhängt. Trotzdem tue ich Dinge, wie eine Sportgruppe leiten, die mich herausfordern und es erfordern, dass ich dazulerne. Auch das Schreiben in einfacher Sprache ist eine Herausforderung für mich. Wie kann ich Inhalt nach Wichtigkeit priorisieren und vereinfachen. Ganz klar steht für mich der Spaß im Vordergrund. Ich kann mir eine Nische schaffen, in der ich genau meine besonderen Fähigkeiten einbringe.
Anmerkung: Hier kannst du mehr über Juttas aktuelles Engagement erfahren
Siehst du auch Möglichkeiten, wie ein Ehrenamt, ein Einstieg in eine neue berufliche Richtung ebnen kann?
Ich bin der festen Überzeugung, dass es so ist. Einerseits über die Kontakte und das Netzwerk, dass sich automatisch ergibt. Du erzählst, was du machst, wie zufrieden du bist und jemand schlägt dir eine Stelle vor. So ist es mit meiner letzten Stelle gewesen. Ich habe beim Volleyball erzählt, dass ich etwas anderes suche. Mein Mitspieler meinte, ich sei genau die Richtige für die Werkstatt für Menschen mit geistiger Behinderung. Das Vorstellungsgespräch war toll. Dort habe ich wieder Menschen kennengelernt und bin jetzt in der BSG engagiert. Das ist ein Sport-Verein für Menschen mit geistiger Behinderung. Dort mache ich Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikationstraining, alles natürlich in einfacher Sprache.
Ein weiteres Thema, das sich umtreibt, ist das Thema Sinn. War das schon immer ein Thema für dich – oder ist es, wie bei vielen, erst in der Lebensmitte aufgetaucht?
Als Psychologin bin ich mit dem Thema Sinn schon länger vertraut. Ich habe 1998 eine Ausbildung zur Verkehrstherapeutin gemacht. Im Rahmen der Ausbildung sollten wir unsere Mission beschreiben. Weshalb möchte ich Menschen unterstützen, ihren Führerschein wiederzubekommen? Das waren lange schlaflose Nächte, denn ich hatte den Eindruck, ich habe überhaupt keine Mission. Ich habe auch die ein oder andere Träne verdrückt.
Aus meiner jetzigen Erfahrung denke ich, es war einfach eine ungünstige Vorgehensweise. Es ist Biografiearbeit notwendig, um den Sinn oder das große Warum zu entdecken. Sinn ist da. Das Bedürfnis etwas Sinnvolles zu tun, der Gemeinschaft etwas zurückzugeben, etwas zu hinterlassen, dass über mich selbst hinausweist, steckt in uns allen. Manchmal liegt er ganz offen da, manchmal ist er versteckt.
Jetzt fühle ich mich weiser und habe die Klarheit, all meine Ehrenämter haben dahin geführt, wo ich heute bin. All meine Lebensthemen haben zu den jeweiligen Ehrenämtern geführt. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir die Antwort erst in der Lebensmitte finden können. Deshalb stellt sich jetzt die Frage. Und gleichzeitig finde ich es fantastisch, dass ich diese Frage immer wieder anders und neu beantworten kann. Ich kann mich festlegen, muss ich aber nicht.
Sinn kann nicht verliehen werden, sondern wir selbst bewerten Dinge und Aktivitäten als sinnvoll. Wodurch erfährst du dein Leben als sinnvoll?
Sehr guter Gedanke. Ich kann mich kleinreden oder eben mich selbst wertschätzen. Es ist ganz alleine eine Frage der Perspektive. Darüber bestimme ich. Jede Handlung kann sinnvoll oder sinnlos sein. Gerade hab ich mir das Ehrenamt im Bereich Inklusion ausgesucht. Das wirkt per se sinnvoll. So ist es aber überhaupt nicht. Wenn ich die Diskussion sehe, ob vor der Geburt bestimmt werden soll, ob dieser Mensch behindert sein wird und ob er überhaupt geboren werden soll, dann wird klar, ich könnte die Inklusionsfrage völlig anderes beantworten. Ich für mich habe entschieden, dass jeder Mensch einen einzigartigen Beitrag leistet. Ich gönne mir den Spaß, mit Menschen zu arbeiten, die im Hier und Jetzt sind, mich erden und zeigen, dass es unwichtig ist, was gestern war oder morgen kommt.
Vielen Dank, liebe Jutta, für diese interessanten Einblicke
Hier gibt es mehr Infos über Jutta und Vernetzungsmöglichkeiten:
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