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Sinnkrise? Ich doch nicht!

Wenn du dich bei dieser Überschrift ertappt fühlst, dann ist dieser Blogbeitrag vielleicht genau richtig für dich. Mich begleitet das Thema Lebenssinn schon viele Jahre. Erstaunlicherweise habe ich erst in den letzten Monaten einen wichtigen Unterschied begriffen: Der Sinn des Lebens ist nicht gleichbedeutend mit Sinn im Leben. Ich dachte, dass Sinnkrise etwas Großes ist, das mit größeren Umwälzungen einhergeht und bei dem der Sinn des Lebens infrage steht. Bei mir doch nicht! Ich gehöre eher ins Team Reformer als ins Team Revoluzzer.

Und dennoch stimmt es so pauschal nicht. Deshalb schreibe ich in diesem Blogbeitrag über den großen und den kleinen Sinn im Leben, warum die Ursache für Unzufriedenheit eine kleine Sinnkrise sein kann und wie man sich neue sinnerfüllte Lebensbereiche ins Leben holen kann.

Latente Unzufriedenheit als Anzeichen einer Sinnkrise

Manchmal verändern sich Lebensumstände so, dass sich das Sinngefüge verschiebt. Ein augenfälliges Beispiel aus meinem Leben: Die beiden Ältesten zogen aus und obwohl sie sich auch schon in der Zeit davor immer mehr abgegrenzt haben, war der Auszug ein unmissverständliches Zeichen, das auch ich nicht mehr ignorieren konnte. Diese Phase war begleitet von einer latenten Unzufriedenheit, es kam häufig zu Streit und schlechter Stimmung. Im Nachhinein habe ich erkannt, dass ich nicht akzeptieren wollte, dass die Dinge sich ändern. Es war schließlich nicht irgendeine Veränderung, sondern ein Lebensbereich, der mit wichtig war und meinem Leben Bedeutung gegeben hat.

Heute sehe ich es so, dass diese nagende Unzufriedenheit eigentlich ein Sinnvakuum war. Die Kinder, die mir Sinn im Leben gegeben hatten, brauchten mich nicht mehr. Ich war reif für eine Veränderung. Es war Raum für einen neuen Sinn, den ich füllen durfte. Seither habe ich diesen neuen Sinn durch ein neues Ehrenamt gefunden. Ich habe in der Kirchengemeinde das Projekt Luther-Treff ins Leben gerufen. Einmal im Monat gibt es ein kostenloses gemeinsames Mittagessen und einmal im Monat ein gemeinsames Abendpicknick. Für dieses Projekt konnte ich viele meiner Erfahrungen aus dem Berufsleben nutzen (Projektmanagement, Stakeholder-Management – in einer Kirchengemeinde gibt es unglaublich viele Stakeholder! -, Öffentlichkeitsarbeit). Dass ich jahrelang für meine Familie gerne und gut gekocht habe, kam mir in diesem Projekt ebenfalls zugute – auch wenn die Küche nicht von mir verantwortet wird. Jedenfalls habe ich durch dieses Projekt wieder neuen Sinn gefunden, mein Leben ist wieder in Balance und läuft seither für alle Beteiligten deutlich zufriedener. Merke: Der Sinn im Leben ist kontextabhängig, kann sich über die Zeit verändern und es ist jederzeit möglich, wieder einen neuen Sinn zu finden.

In meinem Leben hat es schon mehrere Sinnkrisen gegeben und inzwischen habe ich einen guten Umgang damit gefunden. Ohne diese Sinnkrisen hätte ich ganz gewiss nicht herausgefunden, wie wichtig Sinn für mich ist. Wenn du gerne mehr darüber erfahren möchtest, kannst du das in diesem Beitrag nachlesen.



Jeder Mensch strebt nach Sinn

Es gibt verschiedene Ideen, dazu, was die wesentliche Antriebskraft des Menschen ausmacht. Ist es tatsächlich so, dass wir letztlich nur danach streben, die Lust in unserem Leben zu vermehren, wie Sigmund Freud meinte? Mir persönlich erscheint die Idee von Viktor Frankl stimmiger, der die Sinnorientiertheit des Menschen in den Mittelpunkt stellt. Hinter der Sehnsucht nach Sinn stecken vier Grundbedürfnisse, die durch Sinngebung befriedigt werden:

  • Menschen möchten spüren, dass ihre aktuellen Aktivitäten mit zukünftigen Ereignissen in Verbindung stehen. Sie möchten ihre gesetzten Ziele durch ihre Handlungen erreichen. 
  • Menschen streben danach, Ereignisse so interpretieren zu können, dass das Gefühl, Kontrolle über die Geschehnisse zu haben, bestätigt wird. Menschen möchten etwas bewirken können. 
  • Menschen möchten, dass ihre Handlungen von positivem Wert sind. Unsere Seele kann – laut Platon – das Gute, Wahre, Schöne wiedererkennen. Das heißt, wir können fühlen, was richtig und was falsch ist. 
  • Menschen haben das Bedürfnis nach einem positiven Selbstwertgefühl. Sie suchen nach Möglichkeiten, in denen sie ein Selbstbild als wertvolle Individuen aufbauen können.

5 Arten der Sinngebung

Sinnforscherin Tatjana Schnell unterscheidet die folgenden 5 Arten der Sinngebung. In ihren Forschungen hat sie außerdem herausgefunden, dass wir unser Leben umso sinnvoller erleben, je mehr Sinnquellen wir nutzen. Sinnquellen sind Bereiche, die uns wichtig sind, die uns Halt geben und unserem Leben Bedeutung verleihen.

  • HORIZONTALE SELBSTTRANSZENDENZ
    Damit ist das Engagement für einen höheren Wert gemeint. Wenn wir in diesem Bereich Sinn erfahren, dann fällt es uns leicht, unsere eigenen Wünsche und Impulse zurückstellen für den höheren Wert. Für mein ehrenamtliches Engagement für den Luther-Treff ist genau dieser Bereich relevant. Dieses Projekt möchte einen Raum für das gemeinsame Essen schaffen, damit Menschen sich begegnen und austauschen können. Manchmal ist es anstrengend, aber ich habe selten Motivationsprobleme, denn ich weiß, dass ich dadurch etwas sehr Positives für die Gemeinschaft schaffe.
  • VERTIKALE SELBSTTRANSZENDENZ
    Damit ist gemeint, dass wir Sinn in der Vorstellung finden, dass wir in einen größeren Gesamtzusammenhang eingebettet sind. Beispiele: Religion oder Spiritualität. Ich bewundere Menschen, die eine starke Beziehung zu Gott haben, die sie niemals infrage stellen. Das ist bei mir nicht so – aber definitiv bin ich davon überzeugt, dass es etwas Göttliches gibt, das in allen Lebewesen wirkt. Diese Vorstellung gibt mir Halt in schwierigen Zeiten.
  • SELBSTVERWIRKLICHUNG
    Darunter versteht man eine Konzentration auf die eigenen Stärken, Potenziale und Entwicklungsmöglichkeiten. Eine Aus- oder Weiterbildung zu machen, kann eine wertvolle Sinnquelle sein. Relativ am Anfang meiner Berufstätigkeit durchlebte ich schwierige Zeiten im Beruf. Heute würde man wohl sagen, dass meine Chefin mich gemobbed hat. Die Situation entspannte sich, als ich begann, das Abitur am Abendgynasium zu machen. Ich hatte mir eine neue Sinnquelle erschlossen!
  • WIR- UND WOHLGEFÜHL
    Damit ist Selbst- und Nächstenliebe gemeint. In diesen Bereich fällt z.B. die Fürsorge. Wie oben erwähnt waren meine Kinder für mich jahrelang eine wichtige Sinnquelle.
  • ORDNUNG
    Hierunter fällt Tradition, Bodenständigkeit und besonnenes Abwägen und Urteilen.

Diesen 5 Bereichen ordnet Tatjana Schnell insgesamt 26 Lebensbedeutungen zu. Dadurch werden die sperrig-abstrakten Überbegriffe konkret vorstellbar. Es lohnt sich auf jeden Fall, sie sich einmal näher anzuschauen.

Veränderungssehnsucht als Anzeichen einer Sinnkrise

Unter Sinnkrise verstehen viele vielleicht das Klischee einer Midlife-Crisis bei Männern, die plötzlich eine jüngere Geliebte haben oder sich ein Motorrad zulegen. Das ist eine sehr reduzierte Sichtweise. Erstens gibt es auch viele Frauen in der Lebensmitte, die ihr bisheriges Leben auf den Prüfstand stellen. Zweitens können sich Krisen auch im kleineren Maßstab äußern. Ich kenne viele Menschen in der Lebensmitte, die eine Aufbruchssehnsucht spüren. Die ihr Leben gerne ändern würden, aber nicht so richtig wissen, wo sie ansetzen können. Für diese Menschen kann das Erforschen der Frage, ob derzeit genügend Sinn im Leben vorhanden ist, lohnenswert sein.


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