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Rezension: Du bist mehr als eine Zahl

Mit meinen Coachings unterstütze ich Menschen bei der Neuorientierung in der Lebensmitte. Der Glaubenssatz, der mir dabei häufig begegnet ist: Dafür bin ich zu alt. Wenn dann ein Buch erscheint, mit dem Untertitel Warum das Alter keine Rolle spielt, ist mein Interesse natürlich geweckt.  Auch wenn es mir nicht gefällt, so habe ich dennoch die Wahrnehmung, dass das Alter sehr wohl eine Rolle spielt. Das ist keine individuelle Schwarzmalerei: Eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes kommt zu dem Ergebnis, dass Klischees und Stereotype über ältere Menschen fest verwurzelt sind.

Genau deshalb war ich neugierig und habe Irène Kilubis Buch „Du bist mehr als eine Zahl“ gelesen und rezensiert. Ich war neugierig auf Impulse und Argumente gegen Altersdiskriminierung.

Zahlen, Daten, Fakten zum Buch

  • Titel: Du bist mehr als eine Zahl – Warum das Alter keine Rolle spielt
  • Autor: Irène Kilubi
  • Hardcover gebunden, 280 Seiten
  • Herausgeber: Murmann Verlag
  • ISBN: 978-3867747899
  • Erschienen: 2024

Das Buch umfasst eine Einleitung, 8 Kapitel, ein Outro, ein Ratespiel, Erläuterungen zu den verschiedenen Generationen und ein Glossar.  Beim ersten Durchblättern fällt das Layout ins Auge: unterschiedliche Schrifttypen (fett, unterstrichen, kursiv, unterschiedliche Schriftgrößen) und die Information zu Copyright und Haftungsausschluss in großer Schrift über eine Seite ohne Rand verteilt. Ich gestehe: Mir ist das zu viel Abwechslung und mein erster Eindruck ist dadurch etwas getrübt.

Spielt das Alter keine Rolle?

Der Untertitel hat mich provoziert. Zu sehr erlebe ich im Umfeld, dass das Alter eben doch eine Rolle spielt: Unternehmen, die ihre HR-Mitarbeiter anweisen, keine 50plus Mitarbeiter einzustellen, weil das angeblich nicht zum Firmenimage passt. Headhunter, die ihren Auftraggebern keine 50plus Kandidaten vorstellen, weil sie wissen, dass ihre Kunden diese ohnehin ablehnen. Angestellte, die sich nicht trauen, aus der sicheren, aber langweiligen Festanstellung heraus etwas Neues zu wagen.

In dem Buch gibt es viel Material darüber, dass Unternehmen das Generationenmanagement immer noch nicht gut für alle Generationen umsetzen. Und das, obwohl das Thema schon seit Jahrzehnten in der Diskussion ist. Es gibt außerdem viel Material darüber, warum das Alter keine Rolle spielen sollte. So wird beispielsweise eine Umfrage der Unternehmensberatung Deloitte aus dem Jahr 2021 zitiert, die empfiehlt, zu überprüfen, ob Segmentierung nach Altersgruppen noch zeitgemäß sei. Es ist auch hinlänglich bekannt, dass altersgemischte Teams bessere Ergebnisse erzielen. All das weiß die Autorin und teilt vielfältige Empfehlungen aus ihrem Fundus.

Empfehlungen für Unternehmen

Sie empfiehlt den Unternehmen, Altersdiversität in den Kernwerten zu verankern und sich bewusst einen Überblick über die Altersstruktur im eigenen Unternehmen zu verschaffen. Weitere Handlungsfelder für eine inklusive Arbeitswelt sieht sie im aktiven Umgang mit Vorurteilen, einem altersdiversen Recruiting und dem Thema lebenslanges Lernen für alle. Sie empfiehlt beispielsweise eher mit Skill- als mit Jobprofilen zu arbeiten. Dadurch könne man, die kritischen Skills punktgenau fördern, anstatt Schulungsmaßnahmen nach dem Gießkannen-Prinzip zu verteilen.

Appell an Betroffene

Aber es gibt nicht nur Empfehlungen für Unternehmen. Die Autorin wendet sich auch direkt an die Betroffenen. An mehreren Stellen im Buch appelliert sie, sich umzuorientieren, wenn das Umfeld nicht mehr passt.

Sich aufzumachen zu neuen Ufern, neugierig und hungrig zu bleiben, hat nichts mit Festanstellung oder Alter zu tun, sondern mit Mindset. Und wenn einem das innerhalb des bestehenden Rahmens nicht möglich ist, dann such man sein Glück, ja Lebensglück auch jenseits von bestehenden Riegeln und Stäben.

Irène Kilubi

Beim Lesen des Buchs entstand in mir ein Bild der Autorin: Aufgewachsen unter schwierigen Bedingungen – bis zum 14. Lebensjahr hat sie in Geflüchtetenheimen gelebt. Aber sie hat sich nicht unterkriegen lassen. Hat sich als 10-Jährige allein bei einem Gymnasium vorgestellt, weil die erste Schule sie und ihre Mutter abgewiesen hat. In der zweiten wurde sie dann genommen. Sie hat sich durch Jobs die Hobbies finanziert, die ihr die Mutter nicht finanzieren konnte. Ein starkes Mindset und eine starke Persönlichkeit, vor der ich Hochachtung habe. Es hört sich plausibel an, dass sie die Zelte abbricht, wenn es für sie nicht mehr passt.

Die spannende Frage: Braucht es so eine starke Persönlichkeit, um sich über Altersstereotype hinwegzusetzen? Was machen diejenigen, die das nicht haben? Auch hier gibt es Empfehlungen: Um Hilfe und Unterstützung bitten, das eigene Netzwerk strategisch nutzen, sich selbst und seine Wünsche und Werte besser kennenlernen, damit man besser entscheiden kann, in welche Richtung sich das Leben entwickeln soll. Man könnte es auch so ausdrücken: Das Leben ist kein Wunschkonzert und wer sich mit über 50 neu orientieren will, bekommt die Alternativen nicht auf dem Silbertablett serviert.

Altersdiskriminierung steht der Verwirklichung individueller Potenziale im Weg

Der demographische Wandel und der Fachkräftemangel bereiten gerade den Boden dafür, dass die Unternehmen sich mit dem Thema Generationenmanagement für alle Altersgruppen auseinandersetzen müssen.

Das tatsächliche Alter einer Person und berufliches Leistungsvermögen sind nicht systematisch miteinander verkoppelt.

Sylke Meyerhuber, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Universität Bremen

Da auf dem Arbeitsmarkt derzeit die Nachfrage das Angebot überwiegt, haben Menschen in allen Altersklassen gute Chancen ihre eigenen Vorstellungen von Arbeit und Leben umzusetzen. Die Autorin zeigt auf, dass es viele Gründe dafür gibt, dass das Alter keine Rolle spielen sollte. Sie möchte die Lesenden mit ihrer Energie, ihrer Leidenschaft und ihrem Zukunftsoptimismus anstecken. In meinem Fall ist ihr das auf jeden Fall gelungen.

Noch sind wir in Deutschland ein gutes Stück davon entfernt, dass Jobwechsel über 50 als etwas Selbstverständliches angesehen wird, doch dieses Bild ändert sich gerade. Weder Unternehmen noch Einzelpersonen können es sich leisten, Potenziale nicht zu nutzen. Dafür sind die anstehenden Herausforderungen durch den demographischen Wandel einfach zu groß.

Die Macht altersdiverser Teams

Das Kapitel über die Macht altersdiverser Teams war mein Highlight des Buchs. Es ist mitnichten so, dass die Autorin Realitäten wegdiskutiert. Irène Kilubi weiß sehr wohl, dass Alter eine Rolle spielt. Es geht ihr darum, zu zeigen, wie viel mehr möglich ist, wenn wir die Silos verlassen. Sie plädiert für ein generationsübergreifendes Miteinander – nicht nur im Unternehmen, sondern überhaupt (und hat deshalb 2021 die Non-Profit-Initiative JOINT GENERATIONS gegründet, die darauf abzielt, die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Generationen zu verbessern).

Das Buch gibt einen ganzen Methodenstrauß an die Hand, den Unternehmen dazu nutzen können, einerseits den Wissens- und Kompetenztransfer zwischen den Generationen zu fördern. Mehr noch: Diese Methoden unterstützen dabei, eine „Kultur der Weisheit (apprecitation-of-wisdom) im Unternehmen zu etablieren, also eine Kultur, die den Wert der Erfahrung schätzt, die erfahrenen Kollegen fördert (und fordert) und der Weiterentwicklung des Unternehmens nutzt.

Besonders gefallen hat mir ein Beispiel von Generali. Dort können ältere Mitarbeiter jüngeren Kollegen Projektideen vorstellen, die sie vor 10-15 Jahren entwickelt haben, die aber damals aufgrund technischer Voraussetzungen nicht umgesetzt werden konnten. Vielleicht ergeben sich unter den heutigen Bedingungen neue Möglichkeiten?

Weitere Ideen sind beispielsweise Hackathons oder Business-Creathons mit alters- und funktionsdiversen Teams, Job-Tandems, Jobsharing, Working-Out-Loud (als Möglichkeit für selbstorganisiertes Lernen), Jobshadowing, Job-Rotation, Reverse Mentoring.

Die Autorin zeigt, dass es viele  Methoden gibt, um die Zusammenarbeit zwischen erfahrenen und weniger erfahrenen Mitarbeitenden aktiv zu fördern.  Letztlich ist es eine unternehmerische Entscheidung, die Vorteile von altersdiversen Teams zu nutzen und durchzusetzen.

Fazit: Viel Inspiration für das generationenübergreifende Miteinander

Das Buch ist eine wahre Fundgrube unterschiedlichster Methoden für ein gelingendes generationenübergreifendes Miteinander. Die Autorin hat viele Menschen aus ihrem Netzwerk zu Wort kommen lassen und viele Zitate in das Buch aufgenommen. Das ist Geschmacksache. Mit hat es gut gefallen, weil es zeigt, wie vielfältig das Thema ist. Ebenfalls gut gefallen hat mir das Glossar und die Kurzcharakterisierung der unterschiedlichen Generationen.

Meine Kritik bezieht sich auf Formales. Das Layout war auffällig, hat mir aber eine einfache Orientierung und das Querlesen erschwert. Auch exakte Quellenangaben zu den erwähnten Studien hätte ich mir gewünscht, weil ich manches gerne selbst in den Studien nachlese. Die Seite zum JOINT GENERATIONS Faktor könnte man nach meinem Geschmack weglassen, denn der Link funktioniert nicht so wie angekündigt und der Mehrwert für mich als Leserin war nicht zu erkennen.


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