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Tandem Radtour: Erfahrungen und Einsichten

Vor vielen, vielen Jahren haben mein Mann und ich standesamtlich auf dem Römerberg in Frankfurt geheiratet und wurden danach damit überrascht, dass wir unseren gemeinsamen Lebensweg auf einem Tandem antreten (im wahrsten Sinne des Wortes) durften. Die Silberhochzeit liegt seit ein paar Jahren hinter uns und wir denken noch gerne an diesen besonderen Tag zurück. Über die Jahre hatte sich in meinem Herzen sehr sachte der Wunsch eingenistet, auch einmal eine „richtige“ Tandem Radtour mit meinem Mann zu machen. Er wehrte sich. Das Tandem sei zu unflexibel, zu umständlich, zu…. ich will einfach nicht. Aber dieses Jahr – vielleicht lag es an Corona? – gab es zum Hochzeitstag einen Gutschein für eine gemeinsame Tandem Radtour. Bähhm. Wenn das nicht Liebe ist?!

Tandem 1992
Tandem 2021

Organisation der Tandem Radtour im Vorfeld

Die Organisation der Tour war – dank Google – denkbar einfach. Es gibt viele Radverleiher, die auch Tandems im Angebot haben. Irgendwie waren wir bei Jan in Bad Karlshafen gelandet. So ganz genau wissen wir nicht mehr warum, aber wir wollten schon immer auch mal an der Weser Radfahren und das bisschen Bergland (Bad Karlshafen liegt im Weser Bergland) würden wir zu zweit sicher auch schaffen. Mein Mann buchte die Ferienwohnung, suchte eine Tour heraus und alles schien perfekt. Die Ferienwohnung lag ungefähr in der Mitte, also würden wir an einem Tag das Rad ausleihen und zur Wohnung fahren und am nächsten von der Wohnung zur Verleihstation zurück.

Der Unterschied zwischen Plan und Wirklichkeit

Als wir morgens bei Jan auftauchten, um das Rad in Empfang zu nehmen, erzählten wir ihm begeistert von unseren Plänen. Nun: er war nicht so begeistert. Wir wissen nicht, was er wirklich gedacht hat, aber irgendwie kam bei uns an, dass er den Plan nicht ganz so genial fand, weil der Höhenunterschied in Verbindung mit unbefestigten Wegen für Tandem-Ungeübte eine Herausforderung wäre. Wir hatten keinen großen sportlichen Ehrgeiz und folgten seinem Rat: wir fuhren am ersten Tag von Bad Karlshafen über Höxter nach Corvey und wieder zurück. Auf dem Weser-Radweg. Kaum nennenswerte Steigungen und auch für Anfänger gut machbar.

Überraschende Einsichten aus der Tandem Radtour

Eines vorweg: ich bin sehr froh, dass wir diese Tour gemacht haben. Die Weser ist ein wunderschöner Fluss, das Wetter war grandios und die ehemaligen Benediktinerkloster Bursfelde, Lippoldsberg und Corvey unglaublich beeindruckend. Aber es gab auch überraschende Einsichten.

Bursfelde
Lippoldsberg
Corvey

Kommunikation

Meine Traumvorstellung war, dass wir gemeinsam durch wunderschöne Landschaften fahren, uns gegenseitig die Schönheiten der Natur zeigen und auf den langweiligeren Abschnitten interessante Gespräche über Gott und die Welt führen. Weil wir beide nicht mehr so richtig gut hören, ist die Nähe auf dem Tandem dafür gewiss von Vorteil – dachte ich. Wir fuhren tatsächlich durch wunderschöne Landschaften und machten uns auf Besonderheiten am Wegesrand aufmerksam. Die Gespräche über Gott und die Welt waren allerdings etwas eingeschränkt. Denn es brauchte relativ viel Kommunikation für die Bedienung der Gangschaltung. Mit Nabenschaltung sollte man nicht treten während des Schaltens. Also verlief unsere Unterhaltung eher so: „Stop, ich schalte – okay – jetzt weitertreten – schneller – jetzt nicht mehr treten….“ Natürlich spielte sich das im Laufe der zwei Tage etwas ein, aber ohne Absprache funktioniert es nicht.

Ohnmacht

Ich saß hinten, mein Mann vorne. Das war schon damals auf dem Römerberg so. Warum weiß ich eigentlich gar nicht. Ich wollte vielleicht die Verantwortung vorne nicht. Jedenfalls haben wir das gar nicht diskutiert, sondern uns sofort darauf geeinigt.
Der hintere Fahrer hat keine Bremse und keine Schaltung. Wenn es unterschiedliche Vorstellungen über die Geschwindigkeit gibt oder wie nah am Rande oder in der Mitte zu fahren sei, dann sitzt der vordere Fahrer eindeutig in der besseren Position. Als Hinterfrau hatte ich manches Mal Erinnerungen an Situationen in meinem Leben, in denen ich mich ohnmächtig fühlte. Natürlich konnte ich meinem Mann sagen, dass er bitte weiter in der Mitte fahren solle oder einen anderen Gang einlegen. Dennoch bemerkte ich im Laufe des Tages, was es mit mir macht, wenn ich wenig Gestaltungsspielraum habe und im Wesentlichen auf die Kommandos „treten“ oder „nicht treten“ reagiere. Ich ziehe mich zurück und werde passiv. Funktioniert ja auch ohne mein Engagement. So habe ich es manches Mal in meiner Führungsrolle im Beruf erlebt: wenn Mitarbeiter nicht genügend Eigenverantwortung und Spielraum haben, werden sie entweder passiv oder rebellisch. Also Achtung, liebe Chefs: lasst euren Mitarbeitern Gestaltungsspielraum – zu enge Führung erstickt das Engagement eurer Mitarbeiter. Letztlich geht es mal wieder um das Thema Vertrauen. Traut euren Mitarbeitern zu, dass sie euer Vertrauen nicht ausnutzen. Vielleicht gehen sie einen anderen Weg als ihr es tun würdet. Aber der Preis für das Beharren auf euren Weg ist hoch – und auch Chefs wissen nicht immer alles und machen Fehler.

Verantwortung

Der Vordermann hat viel Verantwortung. Das hat meinen Mann teilweise ziemlich gestresst, zum Beispiel wenn die Kurven eng oder die Abfahrten steiler waren. Er hat uns supersicher navigiert, aber es war anstrengend für ihn, weil er das Rad nicht kannte und uns auf keinen Fall zu Fall bringen wollte. Die einzige Entlastung für ihn hätte darin bestanden, dass wir die Plätze getauscht hätten. Aber auf diesen Gedanken sind wir nicht ernsthaft gekommen. Im Nachhinein finde ich dieses Verhalten ziemlich interessant. Auch hier musste ich ans Berufsleben denken: inwieweit erlauben wir uns, die Rollen zu wechseln, wenn ein Team-Mitglied erkennt, dass die Erfüllung der Rolle ihm (zu) viel abfordert? Gibt es im Unternehmen eine Kultur, die es ermöglicht auf die eigenen Grenzen hinzuweisen ohne Sanktionen zu befürchten? In meinem eigenen Berufsleben war es so, dass ich – als ich Mutter wurde – meine Arbeitszeit reduziert habe. Damit war ich in den Augen meines damaligen Chefs für Führungsaufgaben nicht mehr zu gebrauchen, denn ich hatte ja andere Prioritäten. Schade eigentlich, denn aus meiner Sicht hat das Unternehmen dadurch einen Teil meiner Fähigkeiten nicht genutzt. Ich habe dann übrigens als die Kinder etwas älter waren in die Führungsrolle gewechselt und diese auch gut ausgefüllt.

Fazit

Ich bin sehr froh, dass wir diese Tour gemacht haben. Als Ehefrau bin ich stolz darauf, dass wir uns auch nach so vielen Jahren so aufeinander einlassen können und immer wieder Neues ausprobieren. Als Coach denke ich, dass Tandemfahren auch eine gute Teamentwicklungsmaßnahme wäre (ich denke da beispielsweise an die Themen Führen und Folgen, Kommunikation, Vertrauen und Verantwortung).


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