Was ist weder sichtbar noch greifbar – und trotzdem unendlich wertvoll? Genau! Es ist unsere innere Schatzkiste – Erfahrungen und Fähigkeiten, die wir im Laufe des Lebens gemacht und entwickelt haben und die uns in schwierigen Zeiten helfen.
Um diese inneren Schatzkisten geht es in der Blogparade meiner Blogkollegin Silke Geissen. Sie hat alle Blogger dazu eingeladen, ihre persönlichen Schatzkisten zu öffnen und darüber zu schreiben, was uns niemand mehr nehmen kann. Wenn ich an meine innere Schatzkiste denke, sehe ich keinen Goldklumpen – sondern meine Wanderschuhe. Sie stehen für all das, was ich auf dem Jakobsweg über mich gelernt habe.
Wie alles begann – 7 Jahre Jakobsweg im Überblick
Wie fing das eigentlich an mit meinem Jakobsweg? Als Mutter von 3 Kindern und Langzeit-Ehefrau war ich vor 2021 quasi nicht mehr alleine unterwegs: Immer war ich inmitten von Kindern, anderen Müttern, Freundinnen, Familie, Arbeitskolleg:innen. Das hat meine Fähigkeit, Kompromisse zu finden perfektioniert. Gleichzeitig hatte ich mich selbst ein wenig aus dem Blick verloren. Was ich eigentlich wollte, das konnte ich auf Anhieb selten sagen. Im Rückblick war die Entscheidung, alleine zu gehen, auch die Entscheidung, wieder bei mir selbst anzukommen.
2018 – Der erste Funke: Von Neuf-Brisach nach Thann
Im September 2018 begleitete ich einen Freund vier Tage von Neuf-Brisach nach Thann. Es war der Anfang seines Jakobsweges und in diesen 4 Tagen sprang der Jakobsweg-Virus auf mich über. Aber es war nicht unbedingt absehbar, dass ich 7 Jahre später die knapp 300km von Cluny nach Le-Puy alleine laufen würde.
Wenn ich ehrlich bin, fühlte ich vor 7 Jahren eigentlich nur, dass der Weg mich fasziniert, und dass ich ihn gerne alleine gehen würde. Vor allem letzteres war eine beängstigende Vorstellung, zumal ich nicht nur eine schlechte Orientierung habe, sondern auch Angst vor Hunden. Aber – wie heißt es so schön – unter den Ängsten verbirgt sich der größte Schatz. So viel vorweg: Meine damaligen Ängste haben sich im Laufe der Jahre fast in Luft aufgelöst.
2019-2024 – Solo-Wanderungen und Selbstvertrauen aufbauen
2019 – Erste Schritte allein: Meine erste Solo-Wanderung: 10 km von Bruchsal auf den Michaelsberg. Von außen mag das klein erscheinen – für mich war es aber sehr wichtig. Es folgten weitere Solo-Wanderungen, in denen ich die Navigationsapp Komoot besser kennenlernte und Selbstvertrauen aufbaute. Dann kam Corona und durchkreuzte (nicht nur) meine weiteren Wanderpläne.
2021 – Hitze, Frust und trotzdem weiter: Zehn Tage bei über 36 Grad von Germersheim nach St. Odile. Nicht die reinste Freude: zu heiß und die (nicht vorgebuchten) Übernachtungen stellten sich als schwierig heraus. Das Ende fühlte sich an wie ein Scheitern, denn ich schaffte nicht die ganze Strecke, die ich mir vorgenommen hatte. Und doch blieb ich dran.
2022 bis 2024 – Mal allein, mal begleitet: 2022 ging es mit Freunden von St. Odile nach Colmar. 2023 ging es gleich zwei Mal auf den Weg, einmal mit dem Liebsten für 3 Tage und dann im Juli alleine für 9 Tage. Mit vorgebuchten Übernachtungen, dafür aber Blasen und Durchfall. Trotzdem ging es 2024 weiter. Erstmalig mit dem Pilgerheft – ein äußeres Zeichen dafür, dass ich es wirklich ernst meinte mit dem Jakobsweg. 2024 ging ich 10 Tage, 8 davon alleine und 2 mit dem Liebsten.
2025 – Jakobsweg – Via Cluniacensis – Erstmals 16 Tage auf dem Weg
2025 schließlich die Via Cluniacensis – knapp 300 km von Cluny nach Le Puy-en-Velay. 16 Tage ganz alleine – ein neuer Meilenstein auf meinem Pilgerweg.
4 Lektionen auf dem Weg, die mir niemand mehr nehmen kann
Ich bin schon immer gerne gelaufen. Und immer schon war ich auch wehleidig. Heute nennt man das hochsensibel. Das eine beeinflusst das Andere. Wehleidige Menschen begegnen (nicht nur) bei Langstreckenwanderungen ihren Dämonen: Der Rucksack drückt, das Gewicht sowieso und die Füße schmerzen.
Lektion 1: Ich bin stärker, als ich dachte
Alter Glaubenssatz: „Ich bin zu schwach, um alleine zurechtzukommen.“
Ein sehr gut verborgener Glaubenssatz. Auf dem Weg wurde mir klar, dass ich mich häufig auf andere Menschen verlasse. Genauer: Dass ich denke, dass ich Aufgaben oder Projekte nur mithilfe anderer Menschen schaffe. Eigentlich ist das absurd, denn ich habe in meinem Leben schon vieles „gewuppt“. Trotzdem ist da immer eine Verunsicherung, wenn ich auf mich alleine gestellt bin.
Der Jakobsweg hat mir gezeigt: Ich kann mehr alleine bewältigen, als ich mir zugetraut habe. Blasen an den Füßen, den Weg finden, wenn die Ausschilderung fehlt, Durchhalten trotz Zipperlein – all das habe ich gemeistert. Nicht immer perfekt, aber gut genug. Auf mich alleine gestellt zu sein war die Voraussetzung dafür, dass ich erkennen konnte, dass ich auf meine eigenen Ressourcen vertrauen kann. Es ist eine Stärke, um Hilfe bitten zu können. Das kann ich relativ gut. Und es ist auch eine tolle Erfahrung, zu merken: Ich schaffe das auch aus eigener Kraft. Diese Erkenntnis wanderte direkt in meine Schatzkiste und fühlt sich dort sehr wertvoll an.
Lektion 2: Mein Körper kann mehr als ich dachte
Alter Glaubenssatz: „Ich bin empfindlich und körperlich nicht belastbar.“
Als Kind wurde mir suggeriert, dass ich sehr empfindlich sei. Vermutlich bin ich hochsensibel und reagiere stark auf körperliche Reize. Aber ich hatte auf dem Weg Blasen, Fußschmerzen, Hitze, und Durchfall – und bin trotzdem weitergelaufen. Mein Körper kann mehr, als ich dachte. Auch dieser Schatz liegt nun sicher verwahrt in meiner inneren Truhe.
Lektion 3: Schlechte Orientierung ist kein Hindernis
Alter Glaubenssatz: „Ich habe eine schlechte Orientierung.“
Dieser Satz stimmt, wenn man unter Orientierung versteht, dass man eine innere Landkarte hat und eine verinnerlichte Vorstellung von Himmelsrichtungen. Beides ist in mir quasi nicht vorhanden. Aber: Ich verlaufe mich sehr selten, weil ich gut mit der Komoot-App bzw. der Beschilderung klarkomme und ein gutes Gespür dafür habe, wann ich besser noch einmal nachschauen sollte. Ich habe erkannt, dass ich eine umsichtige und gute Wanderführerin bin. Ein weiterer kostbarer Fund für meine Sammlung.
Lektion 4: Flexibilität statt starrer Pläne
Alter Glaubenssatz: „Was man angefangen hat, muss man zu Ende bringen.“
Zuverlässigkeit ist mir wichtig – vielleicht sogar ein Teil meiner Identität. Aber der Jakobsweg hat mich gelehrt, dass Flexibilität kein Zeichen von Schwäche, sondern von Achtsamkeit ist.
Manchmal ist ein Plan nicht mehr passend. Mein Körper oder mein Gefühl sagen: „Stopp!„. Früher hätte ich das ignoriert. Heute frage ich mich: Was brauche ich gerade wirklich?
Ich übe noch, dabei mein Gefühl von Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren. Ein heikler Punkt für mich. Wie viel Abweichung vom Plan ist noch „okay„? Ab wann fühlt es sich für mich an wie ein innerer Vertragsbruch? Bin ich eine Hochstaplerin, wenn ich nicht alles so mache, wie angekündigt?
Früher dachte ich: Nur wer konsequent bleibt, ist glaubwürdig. Heute spüre ich: Wahre Integrität entsteht nicht durch Starrheit, sondern durch Ehrlichkeit mit mir selbst. Vielleicht ist genau das mein eigentlicher Weg – mich selbst ernst zu nehmen, auch wenn ich die Richtung ändere.
Vertrauen vs. Kontrolle: Was ich noch lerne
Alter Glaubenssatz: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“
Ein weit verbreiteter Spruch, der für mich lauten müsste: Vertrauen kannst du, wenn du alles unter Kontrolle hast. Wo verläuft die Grenze zwischen Vertrauen und Leichtsinn? Auch 2025 habe ich alle Unterkünfte vorgebucht. Ich wollte das zunächst nicht, aber dann stellte sich heraus, dass der 8. Mai ein Feiertag in Frankreich und es mit Unterkünften über dieses verlängerte Wochenende schwierig werden würde. Und als ich dann schon mal beim Buchen war, habe ich alles durchgebucht.
Eine Erkenntnis des Weges: Mein Sicherheitsbedürfnis ist groß und es gibt noch viel Raum dafür, Kontrolle loszulassen. Das ist ein fortwährender Prozess und ich übe noch – nicht nur auf dem Jakobsweg, sondern auch sonst im Leben.
Der Jakobsweg als Schatzkiste fürs Leben
Der Weg hat mir gezeigt: Nicht alles, was ich über mich dachte, stimmt noch. Und das empfinde ich als ein gutes Zeichen, denn es eröffnet neue Möglichkeiten. Wie Francis Picabia schon sagte: „Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.“ Genau das ist auf dem Jakobsweg passiert – meine Gedanken über mich selbst haben die Richtung gewechselt. Und das ist gut so.
Der Jakobsweg hat mir gezeigt, was wirklich in mir steckt – und das ist mehr, als ich gedacht hatte. Diese Erkenntnisse sind zu einem Teil von mir geworden, den mir niemand mehr nehmen kann. In schwierigen Zeiten erinnere ich mich daran: Ich kann mehr alleine schaffen, als ich mir zutraue. Mein Körper ist stärker, als ich dachte. Ich finde meinen Weg, auch wenn die Sicht nicht perfekt ist. Flexibilität ist keine Schwäche, sondern Stärke.
In Zeiten, in denen das Alter gesellschaftlich keine hohe Anerkennung genießt und wir mit zunehmenden Ohnmachtserfahrungen konfrontiert sind – körperliche Veränderungen, berufliche Unsicherheiten, Verluste –, ist der Jakobsweg ein Weg zur Selbstermächtigung und damit ein wunderbares Gegengewicht. Ich denke an die Geschichte vom Salzpfad, in dem das 50-jährige Ehepaar alles verloren und sich seine Würde Schritt für Schritt auf dem South-West-Coast-Pfad zurückerobert hat.
Es mag nicht für jeden der richtige Weg sein – für mich ist er es definitiv. Ich habe unterwegs einige Schätze gesammelt – nicht aus Gold oder Silber, sondern aus Erfahrung und Selbsterkenntnis. Sie wiegen nichts und sind doch unbezahlbar.
Danke, liebe Silke, für diese wunderbare Blogparaden-Idee – sie hat mir geholfen, meine Jakobsweg-Schätze bewusst zu reflektieren und zu erkennen, welche kostbaren Funde ich bereits in meiner inneren Schatzkiste gesammelt habe.

Hast du auch Lust bekommen, deine eigene innere Schatzkiste zu erkunden? Der Jakobsweg ist nur einer von vielen Wegen zur Selbstfindung. Welcher Weg ruft dich?
Wenn du magst, erzähle mir gerne in den Kommentaren von deinen eigenen Erfahrungen oder Plänen. Und falls du regelmäßig von meinen Gedanken und Erlebnissen lesen möchtest – nicht nur vom Jakobsweg, sondern auch zu anderen Themen, die mich bewegen – dann abonniere gerne meinen buntbrief. Dort teile ich persönliche Reflexionen, Buchempfehlungen und Inspirationen für ein bewussteres Leben.
Mehr über meine Jakobsweg-Erfahrungen liest du in meinen Artikeln: Persönlichkeitsentwicklung auf dem Jakobsweg (2023) und Mein Jakobsweg 2024: Einfach mal abschalten!
FAQ – Praktische Tipps zum Jakobsweg (Via Cluniacensis)
Welchen Jakobsweg bist du gegangen?
Es gibt viele Jakobswege in Europa. Dieses Jahr bin ich die Via Cluniacensis gegangen. Sie beginnt in Cluny im Burgund und endet in Le Puy-en-Velay in der Auvergne.
Wie plane ich meine Route auf der Via Cluniacensis?
Ich nutze diese Überblicksseite für den Einstieg: https://www.jakobswege-europa.de/wege/index.htm. Von der Seite aus habe ich die Via Cluniacensis aufgerufen und mir dort die GPX-Tracks heruntergeladen. Diese Tracks habe ich dann in die Navigations-App Komoot hochgeladen.
Für die Routenplanung habe ich mich an dem Reiseführer, der vom Rhone-Alpverein der Jakobsfreunde herausgegeben wurde, orientiert. In diesem „Guide Orange“ ist die Strecke in 13 Etappen unterteilt. Teilweise waren mir die Etappen zu weit und ich habe daraus 16 Etappen gemacht. Den „Guide Orange“ Reiseführer habe ich auf der Seite der Rhone-Alpverein der Jakobsfreunde bestellt. Dieser Guide ist zweisprachig (deutsch und französisch). Es gibt ihn als Broschüre – dann ist das Porto nach Deutschland günstiger und er ist außerdem leichter. Diese Version ist vollkommen ausreichend. Hier ist die Seite für die Bestellung: https://boutique.compostelleenrhonealpes.fr/guides/
Wie finde ich Unterkünfte auf dem Jakobsweg – Via Cluniacensis?
Die Unterkünfte habe ich hauptsächlich im Guide Orange gefunden. Aber ich habe auch booking.com genutzt und Airbnb. Noch traue ich mich nicht, spontan nach Übernachtungen zu schauen und habe alles vorgebucht. Dies war insbesondere deshalb klug, weil am 8. Mai – also kurz nach dem Start ein Donnerstagsfeiertag war (Ende des 2. Weltkriegs) und einerseits viele Unterkünfte vergeben waren, aber auch Gastgeber selbst das verlängerte Wochenende für Urlaub genutzt haben.
A propos Unterkünfte: Auf diesem Weg gibt es spezielle Jakobsunterkünfte (aufgelistet im Guide Orange). Sie werden von engagierten Freiwilligen zur Verfügung angeboten, oft sind es Menschen, die eine besondere Beziehung zum Jakobsweg haben. Es gibt in der Regel Frühstück und häufig auch das Abendessen. Die Bezahlung erfolgt auf Spendenbasis. Dafür gibt es irgendwo eine Spendenbox – ich habe jeweils 40 EUR gegeben, aber man kann auch mehr oder weniger geben, je nach der persönlichen finanziellen Situation.
Wie komme ich nach Cluny, zum Startpunkt der Via Cluniacensis?
Kurze Antwort: Mit der Bahn. Ich wohne an der S-Bahnstrecke nach Karlsruhe und bin dann von Karlsruhe nach Macon gefahren (Achtung: Macon-Ville, nicht Macon-Loché!) mit dem TGV. Die Buchung habe ich über die SCNF-App gemacht. Wenn man früh bucht – auch in Frankreich ist es billiger, wenn man früh bucht. Die App bietet eine automatische Übersetzung an. Fun Fact am Rande: Ticket kaufen wurde mit Zug kaufen übersetzt. Von Macon aus fährt die Buslinie 701 nach Cluny. Der Bus fuhr kurz nach meiner Ankunft aber da ich ein wenig Zeit für die Orientierung brauchte (die Busstation ist hinter dem Bahnhofsgebäude), musste ich 2 Stunden auf den nächsten Bus warten. Am ersten Tag bin ich 8km gelaufen, um meine Beine „auszuschütteln“.
Legst Du auch Pausentage ein?
Bisher habe ich das nicht gemacht, weil es unterwegs keine großen Städte gibt und ich deshalb lieber Tage mit weniger Kilometern zum Ausruhen nutze. Allerdings war ich bisher auch maximal 16 Tage am Stück unterwegs. Wenn die Strecke länger ist (oder das Wetter schlecht ist), braucht es vielleicht einen Pausentag, um Wäsche zu waschen und einfach einmal nichts zu tun.
Ist der Jakobsweg – Via Cluniacensis – auch für Anfängerinnen machbar?
Unbedingt. Die Beschilderung ist sehr gut (ich habe meine komoot-App selten gebraucht) und man kann die Etappen an die eigene Fitness gut anpassen, da es genügend Unterkünfte gibt.
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