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Persönlichkeitsentwicklung: Auch in der Lebensmitte sinnvoll

In diesem Beitrag beschäftige ich mich mit der Frage, ob Persönlichkeitsentwicklung auch in der Lebensmitte sinnvoll und möglich ist. Weil der Begriff persönliche Weiterentwicklung sehr viel bedeuten kann, gehe ich zunächst auf die Definition ein und nenne dann Motive für die persönliche Weiterentwicklung. Im zweiten Teil des Beitrags gehe ich auf die Besonderheiten in der zweiten Lebenshälfte ein und gebe Tipps, wie jeder die Veränderungsbereitschaft auch mit zunehmendem Alter bei sich stärken kann. Ein terminologischer Hinweis: Die Begriffe Persönlichkeitsentwicklung und persönliche Weiterentwicklung verwende ich in diesem Beitrag synonym.

Was ist Persönlichkeitsentwicklung?

Salopp gesagt umfasst die persönliche Weiterentwicklung alles, was wir tun, um uns selbst zu verbessern oder – und dies gefällt mir persönlich besser – das zu entwickeln, was in uns steckt. Interessanterweise gibt es keine Definition für den Begriff Persönliche Weiterentwicklung in Wikipedia, obwohl es über 10,6 Millionen Google-Suchergebnisse dafür gibt. Vermutlich liegt das daran, dass es weder eine eindeutige Definition für den Begriff Persönlichkeit gibt, noch besteht Einigkeit darüber, wie sich die Persönlichkeit entwickelt. Immerhin gibt es einen umfangreichen englischen Wikipedia Eintrag zum Thema Personal Development.

Es braucht ein bestimmtes Menschenbild, um den Begriff persönliche Weiterentwicklung sinnvoll zu verwenden. Wir müssen davon ausgehen, dass die Persönlichkeit nicht statisch ist, sondern sich im Laufe der Zeit weiter entwickeln kann. Außerdem macht das Thema nur dann für die zweite Lebenshälfte Sinn, wenn man davon ausgeht, dass die Persönlichkeit sich über die gesamte Lebenszeit weiterentwickelt, nicht nur in der Kindheit und Jugend. Gerade was die Weiterentwicklung in höherem Alter angeht, gibt es inzwischen viele Erkenntnisse, dass die Aussage nicht stimmt, dass „was Hänschen nicht lernt, Hans nimmermehr lernt„.
Es gibt die alte – und immer noch offene – Debatte darüber, zu welchen Anteilen die Persönlichkeit von der Umwelt geformt wird und inwieweit es genetisch vorbestimmt ist. Einigkeit besteht darüber, dass beides eine Rolle spielt. Das bedeutet, dass nicht alles verändert werden kann – aber wie groß die Spielräume sind, ist wissenschaftlich nicht erforscht. Meine pragmatische Vermutung: sie sind im Allgemeinen größer als angenommen. Ein introvertierter Mensch wird vielleicht nicht zur Rampensau, aber durch Übung können auch introvertierte Menschen gute Reden halten. Apple-Gründer Steve Jobs galt beispielsweise als introvertiert und dennoch haben seine Reden Millionen Menschen in ihren Bann gezogen.

Drei Gründe, warum wir uns persönliche weiter entwickeln wollen

Dies ist keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern meine persönliche Ansicht auf das Thema. Es gibt ganz sicher auch noch andere Gründe, aber mir erscheinen diese drei Gründe besonders bedeutsam.

Wir wollen wachsen und den Alterungsprozess aufhalten

Mir gefällt der Begriff Wachstum statt Weiterentwicklung sehr gut. Darin liegt schon eine mögliche Antwort auf die Frage nach dem Warum. Ob wir wollen oder nicht: Wir wachsen und verändern uns im Laufe des Lebens. Ich nenne bewusst beide Aspekte, denn selbst wenn wir nicht mehr wachsen, verändern wir uns. Das kommt insbesondere nach der Lebensmitte zum Tragen. Der Körper baut ab, wir sind nicht mehr so leistungsfähig wie in der Jugend und wir müssen mehr tun, um körperlich fit zu bleiben. Das gilt natürlich auch für die geistige Ebene, d.h. wenn wir aufhören, neues zu lernen und auszuprobieren, „schrumpfen“ wir geistig. Die Natur hat es fein eingerichtet und uns einen starken Überlebenswillen eingepflanzt und deshalb ist der Wunsch nach Weiterentwicklung oder danach, die Auswirkungen des Alterungsprozesses aufzuhalten, stark. Falls du beim Lesen jetzt denkst, aber das stimmt doch nicht für alle, dann hast du Recht. Denn wenn unsere seelische Gesundheit z.B. durch eine Depression beeinträchtigt ist, dann sind diese Kräfte ausgebremst. Überhaupt ist es so, dass zwei Menschen unter denselben Umständen selten gleich reagieren. Die Resilienzforschung beschäftigt sich genau mit diesem Phänomen.

Wir gewinnen durch persönliche Weiterentwicklung Handlungsspielraum

Es gibt eine ganze Reihe von persönlichen Vorteilen, die uns von der persönlichen Weiterentwicklung haben: Indem wir neue Fähigkeiten erlernen, werden wir handlungsfähiger und gewinnen dadurch mehr Möglichkeiten.
Natürlich gibt es auch hier unterschiedliche Ausprägungen. Manche Menschen sind neugieriger und suchen eher neue Herausforderungen als andere. Aber selbst wenn wir es nicht aktiv vorantreiben, gibt es dennoch persönliches Wachstum durch die verschiedensten Lebensereignisse (Auszug aus dem Elternhaus, Einstieg ins Berufsleben, Familiengründung, Auszug der Kinder….). Wir wachsen in diese Phasen hinein und wachsen daran, weil wir es gut machen wollen.

Wenn ich zum Beispiel Französisch lerne, kann ich die Sprache beruflich einsetzen, ich kann französischsprachige Länder bereisen und französische Literatur im Original lesen. Muss man Französisch können, um handlungsfähiger zu werden? Das kommt ganz auf den Kontext an. Wenn ich auf Jobsuche bin und auf dem Arbeitsmarkt französische Sprachkenntnisse sehr gefragt sind, dann habe ich durch diese Sprachkenntnisse mehr Auswahl an Jobangeboten.

Ich finde, dass ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt von persönlicher Weiterentwicklung ist, dass sie ein guter Nährboden für das Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein ist. Und das wiederum öffnet die Türen für andere Entwicklungen und führt zu mehr Zufriedenheit im Leben. Dahinter steckt der Gedanke, dass Zufriedenheit stark mit Gestaltungsmöglichkeiten zusammenhängt. Das entspricht meiner persönlichen Lebenserfahrung – es ist aber auch wissenschaftliche untersucht und belegt worden. Eine etwas älteren Studie zum Wohlbefinden im Alter kommt zu dem Schluss:

Personen mit hoher Selbstwirksamkeit sind insgesamt zufriedener und positiver gestimmt.

Ergebnisse aus der Münchner GOLD-Studie, 2000

Persönliche Weiterentwicklung macht uns unabhängiger von äußeren Einflüssen

Dieser Aspekt wird Menschen sehr gut gefallen, für die Freiheit oder Unabhängigkeit einen hohen Stellenwert hat. Persönliche Weiterentwicklung macht uns unabhängiger und freier von äußeren Einflüssen. Wer beispielsweise gelernt hat, seine Emotionen besser zu regulieren, lässt ich mich nicht mehr so leicht auf die Palme bringen und kann das Leben mehr genießen. Dieser Aspekt verdeutlicht auch, dass persönliche Weiterentwicklung stark im Zusammenhang mit der eigenen Persönlichkeit steht. Das, was uns wichtig ist, treibt uns an. Ob das nun Freiheit ist oder exzellente Ergebnisse oder Kommunikation oder die Liebe zu unseren Kindern: Wenn wir aus uns selbst heraus etwas erreichen wollen, dann geht das immer mit persönlicher Weiterentwicklung einher.

Was beinhaltet Persönlichkeitsentwicklung?

Es gibt drei Bereiche, die zentral für die persönliche Weiterentwicklung sind, und miteinander in Verbindung stehen bzw. sich gegenseitig beeinflussen.

Selbsterkenntnis

Wenn wir uns selbst nicht wirklich kennen, dann ist die Gefahr groß, dass äußeren Maßstäben hinterherlaufen und uns zwar sehr bemühen, aber niemals wirklich am Ziel ankommen. Wir stellen sozusagen die Leiter an die falsche Wand. Die Selbsterkenntnis hilft uns, Klarheit zu gewinnen über das, was uns wichtig ist, welche Stärken und Schwächen wir haben, welche einschränkenden Annahmen über die Welt (Glaubenssätze) und noch einiges mehr.

Nun ist es leider nicht so, dass wir lediglich einmal kurz darüber nachdenken müssen, wer wir wirklich sind und dann loslegen können. Auch du kennst bestimmt Menschen, die sich selbst anders wahrnehmen als sie von außen gesehen werden. Prominentes Beispiel dafür sind Frauen, die denken, dass sie eigentlich gar nichts können und ihr Umfeld das entschieden anders sieht. Sehr wahrscheinlich ist es bei den allermeisten Menschen so, dass es einen Unterschied zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung gibt. Du ahnst es vielleicht schon: Du solltest bei deiner Selbsterkundung unbedingt auch Feedback von außen einholen, denn die eigenen blinden Flecken erkennst du nur durch Rückmeldung von außen. Nicht umsonst investieren Firmen viel Geld in 360Grad Feedback Prozesse.

Je weniger Selbstbewusstsein ein Mensch hat, desto größer ist dieser Unterschied. Deshalb ist es eine wirklich gute Idee, den Weg zur persönlichen Weiterentwicklung damit zu beginnen, das Selbstwusstsein zu stärken. Denn wenn wir selbst uns wenig achten und Schwierigkeiten damit haben, uns Fehler zu verzeihen, können wir uns selbst auch nicht wirklich einigermaßen objektiv einschätzen. Häufig ist es so, dass das Selbstbewusstsein im Laufe des Lebens zunimmt. Aber auch in der Lebensmitte kann mangelndes Selbstbewusstsein der persönlichen Weiterentwicklung im Wege stehen. Indem wir Neues ausprobieren oder uns bewusst aus der Komfortzone herausbewegen, stärken wir das Selbstbewusstsein. Ich selbst habe zum Beispiel mein Selbstbewusstsein durch Radreisen gestärkt – und das erst im Rückblick erkannt.

Selbstakzeptanz/Selbstannahme

Wer jetzt denkt, dass Akzeptanz doch ein Widerspruch zu Weiterentwicklung ist, dem möchte ich folgendes entgegen. Bei der persönlichen Weiterentwicklung geht es darum, das zu entwickeln und ans Licht zu bringen, was in uns steckt. Wenn wir sehr selbstkritisch sind und bestimmte Eigenschaften mit aller Macht „weg haben“ wollen, dann ist es eher unwahrscheinlich, dass wir die Schätze, die in uns liegen, überhaupt sehen können. Die Selbstakzeptanz ist also gewissermaßen der fruchtbare Boden, auf dem die Weiterentwicklung überhaupt erst gedeihen kann.

Selbstveränderung

Der dritte Bereich, die Selbstveränderung, ist das, was gemeinhin als persönliche Weiterentwicklung gesehen wird. Aber – wie oben ausgeführt – gehören meiner Meinung nach auch die ersten beiden Aspekte bereits zu diesem Prozess. Bei Selbstveränderung liest man dann häufig, dass dabei Ziele, Maßnahmen, Erfolgskriterien zum Einsatz kommen müssen. Und am besten in Verbindung mit Willenskraft, Mut und Disziplin. Das stimmt alles – aber motivierend ist es nicht. Ich bin der Meinung, dass persönliche Weiterentwicklung keine Qual sein muss. Wir dürfen dabei der Freude folgen. Es gibt ja so viele Bereiche, in denen wir uns weiter entwickeln können:

  • Körperlich – Erhaltung oder Verbesserung von Gesundheit, Fitness/Ernährung
  • Mental – Aufbau von Wissen & Fähigkeiten aufbauen
  • Emotional – Stärkung von Gelassenheit und innere Ruhe und das Loslassen lernen
  • Spirituell – Achtsamkeit, Glücksempfinden und Sinn

Das Wesentliche ist es, in Bewegung zu bleiben und Klarheit darüber zu gewinnen, was wir dazu beitragen können, um Zufriedenheit und Glück zu erfahren. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass jedes Alter das Richtige ist, um sich neu zu orientieren.

Kann man sich ab der Lebensmitte noch weiter entwickeln?

Lange Zeit herrschte die Meinung vor, dass man ab einem gewissen Alter nichts Neues lernen und damit seine Persönlichkeit nicht mehr verändern könne. Neuere Forschungen haben das widerlegt. Die Neuroplastizität des Gehirns ist inzwischen allgemein anerkannt und besagt, dass sich das Gehirn selbst bis ins hohe Alter noch verändern kann und so ist es bspw. möglich, dass Menschen nach einem Schlaganfall wieder neu sprechen lernen können. Wichtig dabei ist, dass das Hirn entsprechende Anreize bekommt. Das heißt: immer mal wieder Neues ausprobieren und Routinen durchbrechen.

In einem sehr interessanten Interview des Spiegels sagte Psychologin Ursula Staudinger, dass im Laufe des Lebens die Charakterzüge Zuverlässigkeit, Umgänglichkeit und emotionale Stabilität zunehmen, wohingegen die Offenheit für neue Erfahrungen abnimmt. Das passiert automatisch – einfach dadurch, dass man mit anderen Menschen zusammenlebt und die ganz alltäglichen Aufgaben erledigt: Die Berufstätigkeit trainiert beispielsweise unsere Zuverlässigkeit.
Was leider auch beobachtet wurde, ist, dass die Offenheit für neue Erfahrungen bereits ab etwa 40 Jahren abnimmt. Die gute Nachricht ist, dass sich die Offenheit wieder steigern lässt.

Wie kann man die Offenheit für Neues steigern?

Es gibt Faktoren, die die Offenheit für Neues begünstigen. Menschen, die Veränderungen aktiv angehen, weil sie das für sich als vorteilhaft empfinden, tun sich leichter damit. Außerdem hilfreich sind neue Aufgaben, Anreize und die notwendigen Kompetenzen dafür.

Ein persönliches Beispiel: Mit Mitte 50 gab es die Gelegenheit, den Gemeindebrief der Kirchengemeinde zu übernehmen. Es hatte einige Jahre lang keine Veröffentlichung mehr gegeben und die alte Veröffentlichung war mit sehr einfachen Mitteln umgesetzt worden. Die Ansprüche erschienen mir als nicht allzu hoch. Ich konnte bereits schreiben, hatte ich doch als technische Redakteurin viele Jahre gearbeitet. Gleichzeitig war ich zu der Zeit auf der Suche nach einem ehrenamtlichen Engagement. Ich hatte also eine neue Aufgabe und einen Anreiz und teilweise auch die Kompetenzen. Es fehlten vertiefte Kenntnisse in Layout und Publishing-Software. Die habe ich mir dann im Laufe der Jahre angeeignet, indem ich mir andere Veröffentlichungen angeschaut habe und mich nach und nach in die Software eingearbeitet habe. Das alles war möglich, weil ich es wirklich wollte und die Chance darin gesehen habe, etwas Neues zu gestalten. Ich kenne genügend Beispiele von Menschen, die in der Lebensmitte sogar größere Richtungswechsel vorgenommen haben.

Konkrete Tipps für die Stärkung der Veränderungsbereitschaft

An der eigenen Einstellung arbeiten. Wir sind in aller Regel den Verhältnissen nicht so stark ausgeliefert, wie wir denken. Wenn eine Veränderung von außen erzwungen ist, dann hilft es, gezielt nach positiven Aspekten zu suchen. Sehr selten gibt es gar nichts Positives. Im Zweifelsfall kann es auch helfen, das Umfeld bei der Suche nach positiven Aspekten um Mithilfe zu bitten.

Immer wieder Neues ausprobieren, auch Kleinigkeiten helfen. Zum Beispiel die Zähne immer mal wieder mit der anderen Hand putzen, einen anderen Weg zur Arbeit wählen, die Tagesroutine durchbrechen, Restaurants besuchen, die man normalerweise nicht besuchen würde, usw.

Der wichtigste Tipp ist meiner Meinung nach der, die persönliche Veränderung überhaupt zu wollen, denn wo ein Wille ist, entstehen bekanntlich Wege. Vielleicht gibt es ein Vorbild, das dir den Weg weist oder du erkennst im Alltag, was dir leicht fällt und noch zu wenig Raum einnimmt. Unerfüllte Bedürfnisse können auch ein Hinweis sein, in welche Richtung die Entwicklung gehen soll.

Eine Liste mit 10 Tipps für deine persönliche Weiterentwicklung ab der Lebensmitte, findest du in diesem Beitrag.

Fazit

Wir entwickeln uns in jedem Alter weiter – auch wenn wir uns nicht bewusst um das Thema Persönlichkeitsentwicklung kümmern. Während sich manche Charakterzüge mit zunehmenden Jahren verbessern, nimmt die Offenheit für neue Erfahrungen mit dem Alter tendenziell ab. Um offen für Neues zu bleiben, gibt es verschiedene Möglichkeiten und der Beitrag nennt verschiedene Gründe, warum es sich lohnt, die Veränderungsbereitschaft aktiv zu stärken.


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