Vom 3. bis 12. Juli war ich unterwegs auf dem Jakobsweg ins Burgund. Ausgangspunkt war Héricourt (kurz hinter Belfort) und Ziel war Dole. Das waren insgesamt knapp 180 km durch die Franche-Comté und das französische Jura. Die Reise ist ein gutes Beispiel dafür, dass Persönlichkeitsentwicklung nicht nur durch Bücher und Kurse, sondern im echten Leben stattfinden. Es gab einige unerwartete Erkenntnisse – so hätte ich beispielsweise nicht gedacht, dass das Thema Selbstbewusstsein eine Rolle für mich spielt. Die Reise hat einen starken Eindruck auf mich hinterlassen und definitiv zu meiner Persönlichkeitsentwicklung beigetragen.
Selbstbewusstsein
In Bodo Schäfers Buch Ich kann das, habe ich gelesen, dass erfolgreiche Menschen selbstbewusst sind. Gleichzeitig weiß ich von einigen Menschen (überwiegend Frauen), dass sie sich nicht um bessere Jobs bewerben, weil es am Selbstbewusstsein mangelt.
Aber was ist überhaupt Selbstbewusstsein? Noch einmal Bodo Schäfer: Es setzt sich zusammen aus Selbstbild, Selbstachtung und Selbstvertrauen.
Als systemische ausgebildete Coachin weiß ich, dass es in der Persönlichkeitsentwicklung keine eindeutigen Ursache-Wirkungszusammenhänge gibt. Die Entwicklung geschieht eher so, wie wenn man ein Element eines Mobiles anstubbst und dadurch das gesamte Mobile in Bewegung gerät. Und manchmal wird das Mobile auch unbeabsichtigt in Bewegung gesetzt.
So war es bei mir. Keinesfalls habe ich mich auf den Weg gemacht, um mein Selbstbewusstsein zu stärken. Ehrlich gesagt, dachte ich, dass es gut ausgeprägt ist. Aber in den 10 Tagen wurde ich eines Besseren belehrt. Auch Coaches haben weiße Flecken in ihrem Selbstbild.
Im Nachhinein erscheint mir diese Reise wie meine ganz persönliche Heldenreise.
Meine Heldenreise
Warum Heldenreise? Sehe ich mich neuerdings als Heldin? Nicht im klassischen Sinn. Als Coachin verbinde ich mit dem Begriff Heldenreise ein von Paul Rebillot entwickeltes Format für Selbsterfahrung und Persönlichkeitsentwicklung. Im Vorfeld hatte nicht im Entferntesten die Idee, dass diese Jakobsweg-Erfahrung meine Heldenreise werden würde. Erst in der Nachbetrachtung wurde mir klar, dass diese 10 Tage den Spielregeln einer Heldenreise folgten.
Der Ruf
Ich war im Mai gemeinsam mit meinem Mann vier Tage auf dem Jakobsweg von Thann nach Héricourt gewandert und plötzlich war da die Gewissheit, dass ich dieses Jahr noch diese Wanderung fortsetzen müsse. Alleine. Diese innere Gewissheit ist wohl das, was man als inneren Ruf bezeichnet: Es gibt keine verstandesgemäße Begründung für die Idee, nur die innere Gewissheit, dass es richtig ist, genau das zu tun. Es war klar, dass ich alleine gehen würde, obwohl diese Vorstellung mit verschiedenen Ängsten verbunden war. Genau deshalb habe ich direkt nach der Wanderung mit meinem Mann das Zugticket und einige der Unterkünfte für die neue Reise gebucht. Ich ahnte, dass mich der Mut vielleicht verlassen würde, wenn ich nicht gleich „Nägel mit Köpfen“ machen würde.
Die Widerstände
Es gab einige innere Widerstände im Vorfeld: zunächst meine Angst vor freilaufenden Hunden. Dann wusste ich, dass die Infrastruktur in der Franche-Comté sehr schlecht ist: wenig bis gar keine Lebensmittel-Geschäfte und nur spärliche Übernachtungsmöglichkeiten. Irrationale Ängste vor der Obdachlosigkeit und dem Verhungern geisterten durch mein Gehirn. Die Angst, den Anstrengungen nicht gewachsen zu sein, kam hinzu. Aber: Diese Widerstände waren zwar vorhanden, aber nicht so stark, dass sie den Plan vereitelt hätten.
Helfer und innere Ressourcen
Hilfreich war auf jeden Fall, dass ich schon ein wenig Vorerfahrung mit dem alleine Wandern auf dem Jakobsweg hatte. Auch meine Sprachkenntnisse und Erfahrung beim Finden und Buchen von Unterkünften halfen.
Während der Reise gab es verschiedene Hürden: Durchfall, blutige Blase und Hitze. All diese Hürden habe ich mit Besonnenheit lösen können. So fand ich eine Apotheke mit den richtigen Medikamenten und im richtigen Moment hatte ich auch ein Quäntchen Glück. Ich schluckte meinen Stolz herunter und fand eine Mitfahrgelegenheit, als die Blase am schlimmsten war. Auch in den zwei Tagen danach, nahm ich das Angebot der Vermieter, mich ein Stückchen mit dem Auto mitzunehmen, dankbar an. So konnte die Blase heilen und ich konnte tatsächlich alle Etappen laufen. Klar, manche leicht verkürzt, aber das höhere Ziel war es, den Weg bis zum Ende zu gehen.
Die siegreiche Erfahrung
In den Mythen und Märchen tötet der Held einen Drachen und geht gestärkt aus dieser Erfahrung hervor. Mein Drachen war es, vom ursprünglichen Plan abzuweichen und Hilfe anzunehmen. Ich habe mich zunächst wie eine Betrügerin gefühlt und habe immer noch das Gefühl, ich müsste mich rechtfertigen. Insgesamt bin ich vielleicht 15km mit dem Auto gefahren. Den Rest der 180km bin ich gelaufen. Ich bin tatsächlich eher stolz auf die Tatsache, dass ich um Hilfe gebeten habe, als auf die gelaufenen Kilometer. Diese Erfahrung hat mein Selbstvertrauen enorm gestärkt (von dem ich zuvor gar nicht wusste, dass es Stärkung benötigt). Es hat sich eine Gelassenheit in mir ausgebreitet, dass ich darauf vertrauen kann, dass ich richtigen Moment schon die Unterstützung kommen wird, die es braucht. Es heißt: Der Jakobsweg gibt dir nicht das, was du willst, sondern das, was du brauchst. Ich brauchte offensichtlich genau diese Erfahrung.
Persönlichkeitsentwicklung passiert nicht in der Komfortzone
Viele würden mir zustimmen: In der Komfortzone ist es kuschlig – aber Entwicklung passiert da nicht. Es heißt nicht umsonst, dass das größte Wachstum dort entsteht, wo es dich am meisten Überwindung kostet. Es braucht natürlich etwas, das dir hilft, den Widerstand zu überwinden. In meinem Fall war es der Ruf. Es könnte auch Einsicht sein, aber nicht jeder ist so willensstark.
Was auch gerne übersehen wird: Persönlichkeitsentwicklung geschieht nicht durch das Lesen von schlauen Büchern oder das Anschauen von YouTube-Filmen. Oft reicht es noch nicht einmal, einen Kurs zu besuchen. Das reicht, wenn es darum geht, sich bestimmtes Wissen anzueignen, z.B. das Aufsetzen eines Blogs oder um zu lernen, wie man Facebook-Anzeigen schaltet. Das Thema Persönlichkeit ist komplex und eine Veränderung kann nicht über den Kopf alleine erfolgen. Der Körper und die Emotionen spielen ebenfalls eine Rolle. Idealerweise spielt alles zusammen und ermöglicht dadurch eine echte Veränderung. Gleichzeitig ist es auch so, dass die Veränderung in einem Kontext (z.B. in der Freizeit auf dem Jakobsweg) sich auch auf andere Lebensbereiche auswirkt. So hilft das gewonnene Selbstvertrauen ganz sicher auch bei der beruflichen Neuorientierung.
Weitere Erkenntnisse
- Stöcke sehen zwar bekloppt aus und klackern auf dem Asphalt, aber sie schonen die Knie und verhindern dicke Finger.
- Die Zugverbindungen von Frankreich nach Deutschland bucht man besser mit der SCNF-App. Die Deutsche Bahn App zeigte mir die schnelle Verbindung mit TGV nicht an.
- Die Füße immer gut mit Hirschhorntalg eincremen am Morgen: das verhindert Blasen. Wunde Füße können die ganze Tour gefährden.
- In der Franche-Comté und im Jura gibt es sehr wenige Übernachtungen. Deshalb besser vorbuchen.
- Der Jakobsweg ins Burgund ist überhaupt nicht überlaufen. Ich habe in 10 Tagen 5 Pilger getroffen.
- Meine Angst vor Hunden war unbegründet, denn es gibt zwar Hunde, aber sie laufen nicht frei herum.
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Liebe Korina,
vielen Dank für Deinen persönlichen Reisebericht!
Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Reisen, die man allein antritt, sind sehr intensiv und bewegend. Ist bei mir schon lange her. Ich finde es bewundernswert, dass Du das gemacht hast!! (Und die Angst vor den freilaufenden Hunden kann ich sehr gut nachvollziehen.)
Liebe Gesa,
Danke für deine ermutigende Antwort. Es war ein Weg dahin – er fing mit kurzen Wanderungen in meiner Umgebung an, die ich alleine gemacht habe. Und dann wurde es einfach immer länger. Und länger.
Herzliche Grüße, Korina