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Grenzen in der Lebensmitte

Meine geschätzte Blogger-Kollegin Silke Geissen hat zu einer Blogparade mit dem Thema Wechseljahre aufgerufen. Da sehe ich mich – 58-jährige Coachin für das Thema Neuanfang in der Lebensmitte – als Expertin und Betroffene. In diesem Beitrag schreibe ich über Grenzen in der Lebensmitte. Denn die gibt es – allen Stimmen zum Trotz, die uns suggerieren wollen, dass alles eine Frage der Einstellung ist. Mit Verlaub: Es ist vieles eine Frage der Einstellung, aber ich halte es für Unsinn, so zu tun, als ob wir wirklich alles in der Hand hätten.

Grenzen durch körperliche Veränderungen

Die Wechseljahre werden meist mit Frauen in Verbindung gebracht. Man versteht darunter die Zeit, in der die hormonelle Umstellung das Ende der fruchtbaren Lebensphase einleitet. Das Ende der fruchtbaren Phase – wenn das keine Grenze ist!

Interessanterweise fand ich unter Wechseljahren auch eine Definition für Männer:

Zeitspanne etwa zwischen dem 45. und 60. Lebensjahr des Mannes, die durch eine Minderung der körperlichen, sexuellen Funktion und der geistigen Spannkraft, durch nervöse Spannung [und Depressionen] gekennzeichnet ist.

Oxford Languages

Andere Altersspanne und andere Auswirkungen, aber auch hier: Grenze!

Männer haben andere Kompensationsmechanismen als Frauen: jüngere Frau, Golf spielen, Harley, sportliche Höchstleistungen oder auch Depression – je nach Typ. Die Kompensationsmechanismen von Frauen? Mehr Sport, mehr Diät, Nörgeln, Trennung (2021 waren 16,1 % aller geschiedenen Paare bereits mindestens im 25. Jahr verheiratet. Quelle: destatis). Das sind natürlich Klischees auf beiden Seiten – und glücklicherweise gibt es auch viele, die entweder sofort oder nach einer Übergangszeit ein neues Gleichgewicht finden. Dennoch sagen die Klischees etwas über den Umgang mit der Grenze aus. Ich sehe es so, dass diese Kompensationsmechanismen die Antwort auf eine tief empfundene Krise sind. Mehr über diese Midlife-Krise habe ich im Beitrag Wer braucht schon eine Krise in der Lebensmitte geschrieben.

Meine eigenen Grenz-Erfahrungen und die von Freundinnen im selben Alter sind die, dass die Hormonumstellung anscheinend orthopädischen Probleme verstärkt (ich bin keine Medizinerin): Wahlweise Knie oder Rücken und plötzlich kann man nicht mehr Joggen, Wandern oder Radfahren. Allein die Hormonumstellung würde für zusätzliche Kilos sorgen, aber in Verbindung mit weniger Bewegung ist das eine ganz schlechte Kombination. Also eine zweifache Grenze: Weniger Bewegungsfreiheit/Einschränkung von sportlichen Ambitionen und dazu noch die Wechseljahre-Kilos. Leider hat sich das Schönheitsideal seit Rubens gewandelt.

Ich könnte die Liste fortsetzen, aber wozu? Egal, wie ich es drehe oder wende: Die Erfahrung der Grenze ist eine wesentliche Erfahrung in der Lebensmitte. Diese Idee habe ich dem Lebensphasen-Modell von Romano Guardini zu verdanken. Von ihm stammt das Buch „Die Lebensalter“ – ihre ethische und pädagogische Bedeutung“. Darin teilt er das Leben in 5 verschiedene Phasen ein. Der Übergang von einer in die andere Phasen wird jeweils durch eine Krise eingeleitet. In der Lebensmitte ist der Übergang vom mündigen zum ernüchterten Mensch, der durch die krisenhafte Erfahrung der Grenze eingeleitet wird.

Kopfkino – die inneren Saboteure

Neben den körperlichen Grenzen gibt es auch selbstgemachte Grenzen. Wir sabotieren uns nämlich auch selbst, wie Matthias Hammer in seinem Buch „Der Feind in meinem Kopf“ eindrucksvoll aufzeigt. Ich bezeichne das als Kopfkino und nenne hier einmal drei gängige „Argumente“ des inneren Saboteurs in der Lebensmitte.

Ich bin zu alt für….

Das ist ja schon fast ein Klassiker – einige wenige Jahre waren wir vielleicht „zu jung für“, jetzt eben zu alt. In einer Studie der „Initiative Chefsache“ gaben mehr als 60 % der Befragten an, dass man, wenn man beruflich erfolgreich sein möchte, im Alter von 40 schon die wesentlichen Schritte gemacht haben muss. Diese 60 % denken dann vermutlich, dass jenseits der 40 sich nicht mehr viel bewegt. Vielleicht gilt das für Top-Karrieren. Aber stimmt das wirklich? Es gibt genügend andere Beispiele. Greta Silver, eine 74-jährige YouTuberin, Podcasterin, Autorin und Best-Ager-Model. Model wurde sie mit 60 und ihren You-Tube Kanal hat sie mit 66 Jahren gestartet. Neuanfänge sind in jedem Alter möglich.

Ich bin zu teuer

Wer in der Lebensmitte, mit 20 Jahren Berufserfahrung in einen vollständig anderen Bereich wechseln möchte, weil er festgestellt hat, dass die ursprüngliche Berufswahl nicht mehr passt (oder noch nie gepasst hat), für den stimmt das vermutlich sogar. Warum sollte ein Unternehmen einem relativen Neuling in der Materie ein Expertengehalt bezahlen? Natürlich bringt jemand mit viel Berufserfahrung auch übertragbare Kompetenzen mit, das ist ja der Grund, warum auch ein Wechsel möglich ist. Aber die Vorstellung, dass es komplett ohne Abstriche funktionieren muss, ist eine Illusion.

Vielleicht ist es tatsächlich so, dass das gesamte Gehalt notwendig ist, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Dann gibt es keinen Spielraum. Viel häufiger erlebe ich es aber so, dass man nicht bereit ist, auf bestimmte Dinge zu verzichten. In anderen Worten: Ich bin nicht bereit, den Preis für die Veränderung zu bezahlen, weil mir das andere mehr wert ist.

Eigentlich will ich das sowieso nicht

Das ist schon Sabotage für Fortgeschrittene. Vielleicht stimmt es tatsächlich. Das merkt man am besten daran, dass man diejenigen, die z.B. die Karriere, die man „eigentlich sowieso nicht will“ haben, da lassen kann, wo sie sind. Wenn man allerdings sich dabei ertappt, sie innerlich abzuwerten oder innerlich argumentiert, warum das eigene Leben doch eigentlich viel besser ist, dann ist das vermutlich ein Hinweis darauf, dass es da doch etwas gibt, das man auch gerne hätte.

Ehrlichkeit hilft. Es ist nicht immer einfach, sich selbst auf die Schliche zu kommen, denn die inneren Saboteure sind klug – je intelligenter der Mensch, desto ausgeklügelter die Selbstmanipulation. So kommt es mir wenigstens vor.

Sinn und Umgang mit der Grenze

Irgendwie denke ich mir, dass uns die Natur darauf vorbereitet, auf das, was noch kommt. Wir dürfen uns in Akzeptanz üben. Akzeptanz ist weder Gleichgültigkeit noch Verzweiflung. Akzeptanz ist eine Haltung, in der wir nicht verzweifelt an Dingen festhalten, sondern erkennen, wann etwas vorbei ist und es in Frieden ziehen lassen. Zur Akzeptanz gesellt sich also auch das Loslassen, was wir durch diese Erfahrung üben dürfen.
Die älteren Menschen, die mich am meisten inspirieren, sind diejenigen, die im Frieden mit sich und ihrer Umwelt sind und mir zeigen, mit wie viel Freude und Weisheit wir im Alter leben können. Meine Mutter war am Ende ihres Lebens körperlich sehr eingeschränkt – und doch hat sie mir in dieser Zeit gezeigt, was es bedeutet, in Würde das Leben anzunehmen.

Ich brauche Vorbilder, die mir zeigen, dass es möglich ist, bis ins hohe Alter zu wachsen und sich zu entwickeln. Die Hirnforschung weiß inzwischen, dass unser Gehirn bis ins hohe Alter neues lernen kann. Persönlichkeitsentwicklung ist nicht nur für junge Menschen, sondern auch in der Lebensmitte sinnvoll. Mehr dazu habe ich in diesen Blogbeiträgen geschrieben: Persönlichkeitsentwicklung in der Lebensmitte und 10 Tipps dazu. Je mehr Menschen sich nicht hinter die Grenze verstecken, sondern sie wahrnehmen und dennoch die Spielräume nutzen, desto mehr gute Vorbilder hat die nächste Generation. Es geht nicht darum, bei jedem Wehwehchen sich für den Rest des Lebens aufs Sofa zurückzuziehen. Im Gegenteil: Gerade bei körperlichen Einschränkungen müssen wir oft etwas tun, um gegenzusteuern. Die Grenze wahrnehmen und die vorhandenen Spielräume nutzen – das scheint mir ein guter Umgang mit der Grenze.


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Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Britta Langhoff

    Ja, es gibt neue Grenzen jenseits der 50. Das stimmt. Aber es gibt auch viele neue Möglichkeiten. Ich finde es toll, jetzt wieder die Möglichkeit zu haben, selbstbestimmter leben zu können und genieße es sehr, mich in neuen Spielräumen bewegen zu können.

    1. Korina Dielschneider

      Liebe Britta,

      Danke für deine Anmerkung – mir geht es ähnlich. Ich sehe viele neue Möglichkeiten und empfinde diese Phase gerade als sehr bunt und stimmig. Ich hatte die Wahrnehmung, dass das Thema Grenzen nicht so sehr artikuliert wird. Fast habe ich manchmal sogar den Eindruck, dass es wie ein Tabu ist, sich zu Grenzen zu bekennen. Deshalb habe ich einen eigenen Beitrag dazu geschrieben. Die Message ist ja eher: Ja, es gibt Grenzen, aber innerhalb dieser Grenzen ist immer noch ganz viel Tolles möglich. Herzliche Grüße, Korina

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