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Buchrezension: „Adieu – Ein langes Gespräch“ von Beatrice Hecht-El Minshawi

Eine liebe Freundin hat mir das Buch „Adieu – Ein langes Gespräch“ geschenkt, weil sie mein Interesse für die „großen“ Fragen des Lebens kennt. Ich hatte Zeit, angefangen zu lesen – und nicht mehr aufgehört. Direkt im Anschluss habe ich mich dann an diese Buchrezension gemacht.

Es ist ein sehr persönliches Buch. Es geht um die plötzliche Erkrankung des Mannes, die aus dem Blauen heraus in ihr Leben hereinbricht. Eigentlich hätten sie sich mit Rentenbeginn auf eine große Weltreise aufmachen wollen. Sie, die schon immer gerne gereist sind und nun eine richtig große Reise akribisch geplant hatten. Die Krankheit durchkreuzt diese Pläne und letztlich führt sie auch zum Tod des Mannes. Es wird also eine ganz andere Art von Reise. Eine sehr besondere Reise, in der die Autorin ihren Mann durch die Krankheit und auf dem Weg des Sterbens begleitet.

Wenn die Pläne durchkreuzt werden

Spontan dachte ich, dass es nicht gut ist, die Lebenspläne immer auf später zu verschieben. Aber das war bei der Autorin und ihrem Mann nicht der Fall. Sie haben sich bei einem Arbeitseinsatz in Afghanistan kennengelernt und sind bereits während der aktiven Berufstätigkeit viel durch die Welt gereist. Als der Rentenbeginn des Mannes absehbar war, wurden die Pläne für eine ausgedehnte Weltreise konkreter: Das Haus wurde verkauft, eine Wohnung in einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt anvisiert, Versicherungen und Verträge aktualisiert, die Berufstätigkeit der Autorin auf ortsunabhängiges Arbeiten umgestellt. Als Pionierin der interkulturellen Arbeit mit verschiedenen Buchveröffentlichungen war das möglich. Das Auto, ein Toyota Land Cruiser, war gekauft und sorgfältig für die eigenen Bedürfnisse umgebaut worden. Die Route ausgearbeitet. Von Europa aus sollte es über Afrika nach Süd- und Nordamerika gehen. Der Plan stand, das Auto war verschifft, als die Katastrophe hereinbrach. Eine Hirnblutung – wahrscheinlich durch ein Metastase verursacht.

Die Zukunft, für die wir lange gearbeitet hatten, hatte sich unerwartet und voller Wucht aufgelöst und mit ihr die Idee eines Lebens, von dem wir glaubten, es stünde uns zu.

Was für ein Schicksalsschlag! Ich fühle mich kleinmütig. Denke daran, dass ich schon genervt war von den vielen Dingen, die coronabedingt anders gelaufen sind als gedacht. Das sind Kleinigkeiten im Vergleich zu dieser Erfahrung. So viel gründliche und langwierige Vorbereitung und dann kurz vor dem Start ist alles Makulatur. Diese Ohnmacht verbunden mit gleichzeitiger existenzieller Bedrohung, das hat mich gefesselt und gleichzeitig habe ich mich gefragt, wie die Autorin es geschafft hat, sich durch diesen Dschungel schwieriger Gefühle hindurchzunavigieren.

Unfreiwilliger Neuanfang

Statt Weltreise mit dem Toyota Landcruiser ging es mit einer Hirnoperation weiter und dem Einzug in eine kleine Wohnung. Im Kapitel „Ich hätte gern anders gelebt“ schreibt sie über die ersten Auswirkungen und ihre Reaktion darauf. Ihre Ehrlichkeit hat mich berührt.

Jetzt aber litt ich höllisch, konnte mich in diesem Ausnahmezustand selbst nicht mehr erkennen und mochte mich so überhaupt nicht mehr aushalten.

Das Dilemma zwischen Anspruch und Wirklichkeit, eigenen Wünschen und Notwendigkeiten beschreibt die Autorin sehr eindrucksvoll. Könnte ich das aushalten? Ich denke nicht, aber in Ausnahmesituationen wachsen auch ungeahnte Kräfte. Die Autorin fragt sich selbst im Rückblick, wie sie aus dem dunklen Loch wieder herausgefunden hat und weiß, dass es Familie, Freundinnen und die Therapeutin waren.

Und wie geht es weiter?

Drei Jahre, April 2013 bis Juli 2016 dauerte diese besondere Reise. Eine Zeit, in der nach und nach die Möglichkeiten schwinden. Der unfreiwillige Neuanfang war ein radikaler Schnitt in einer sehr viel kleineren Wohnung. Das bedeutete Aussortieren und Loslassen. Sie arrangieren sich mit den neuen Gegebenheiten und es gibt auch wieder Reisen: nach La Palma, Florida und Mallorca. Es sind gänzlich andere Reisen, denn sie sind an die körperlichen Bedürfnisse des Manns angepasst.

Das Ende

Mit der Zeit wird klar, dass der Mann es nicht schaffen wird. Die Schlinge wird immer enger. Er ist todkrank, von Depressionen geplagt und es gelingt nur bedingt, alles zu regeln. Die Versöhnung mit der Mutter ist nicht mehr möglich, denn sie ist bereits gestorben. Die Geschwister können oder wollen nicht sehen, wie krank der Bruder ist und so bleibt letztlich die Autorin die einzige Stütze. Sie hat ihm versprochen, ihn auch beim Sterben zu begleiten. Und das tut sie dann auch. Mich hat das Kapitel „An der Grenze des Lebens“ sehr berührt, denn in dieser Offenheit habe ich bisher nicht über den Sterbeprozess gelesen. Ich finde mich in dieser Beschreibung der Autorin wieder:

„Über Hinfälligkeit, Krankheit und besonders über das Sterben, geschweige denn über den Tod und was danach sein würde, sprach man in deiner Familie kaum, hattest du mir immer wieder berichtet.“

Fazit zu „Adieu – Ein langes Gespräch“

Das Buch hat mich beschäftigt und berührt. Es hat mich dazu angeregt, mich weiter mit dem Thema Tod und Sterben zu beschäftigen. Es ist ein ganz natürliches Thema, das seinen Schrecken dadurch verliert, dass man ihm nicht ausweicht. Für diesen Impuls bin ich sehr dankbar.

Meine Bewertung: 4 von 5 Sternen


Das Buch ist mit 181 Seiten ist ein relativ schmales Buch, das ich an einem Tag gelesen habe. Der Untertitel weist bereits darauf hin, dass es in Gesprächsform geschrieben ist. Ein Gespräch mit einem Verstorbenen. Die aufgeworfenen Fragen fand ich sehr spannend und auch die schonungslose Ehrlichkeit hat mich beeindruckt. Deshalb bewerte ich das Buch mit 4 Sternen.

Es sind nicht 5 Sterne geworden, weil für mich die eingestreuten Reiseerlebnisse teilweise zu lang waren und ich auch den Zusammenhang zur Geschichte nicht immer erkennen konnte. Auch die Typografie hat mich teilweise irritiert. So gab es immer wieder Einrückungen, die sich mir nicht erschlossen und mich abgelenkt haben.

Ich kann das Buch dennoch allen, die sich für Fragen rund ums Leben und Sterben und die Lebensgestaltung im letzten Lebensdrittel interessieren, nur ans Herz legen.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Nicole

    Liebe Korina,
    wie schön, dass dich mein Buchgeschenk so bewegt und gleich zu einer Rezension motiviert hat. Diese gefällt mir gut, du hast die Essenz der Erzählung sehr gut erfasst.
    Ich fand diese Offenheit damals beim Lesen ebenfalls sehr beeindruckend.
    Liebe Grüße
    Nicole

    1. Liebe Nicole,

      es ist immer toll, wenn ein Buch so anregend und bewegend ist. Deshalb: herzlichsten Dank, dass das Buch seinen Weg zu mir durch dich gefunden hat.

      Herzliche Grüße, Korina

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