IKI Was??? Was sich für westliche Ohren sehr fremd anhört, ist im japanischen Kulturkreis etwas Allgegenwärtiges: IKIGAI oder der persönliche Grund, für den es sich zu leben lohnt. In der westlichen Welt ist vor allem das IKIGAI-Diagramm bekannt, das meines Wissens gar nicht aus Japan kommt, aber sehr stark mit IKIGAI assoziiert wird. Weil ich es für ein schlichtes, aber sehr aussagekräftiges Modell halte, das bei der (beruflichen) Neuorientierung im Leben helfen kann, stelle ich es in diesem Blogbeitrag vor.
Was bedeuted IKIGAI?
Wörtlich übersetzt ist IKI das Leben und GAI der Sinn oder Nutzen. IKIGAI ist eine japanische Philosophie, die dabei hilft, Erfüllung, Freude und Achtsamkeit im Leben zu finden. Es ist also viel mehr als nur ein Konzept zur beruflichen Neuorientierung. Es ist eine Haltung dem Leben gegenüber, eine Form der Lebenskunst. Wer mehr darüber erfahren möchte, dem lege ich das Buch IKIGAI des japanischen Neurowissenschaftlers Ken Mogi ans Herz. Für einen schnellen Einstieg in das philosophische Konzept, finde ich auch diesen Blogbeitrag hilfreich.
In diesem Beitrag konzentriere ich mich auf die Methode, die bei der beruflichen Neuorientierung helfen kann. Wichtig erscheint mir, dass IKIGAI nicht zwingend mit beruflichem Erfolg verknüpft ist. IKIGAI kann zu beruflichem Erfolg führen, ist aber keine notwendige Bedingung dafür. Auf jeden Fall kann es hilfreiche Antworten liefern bei der Frage nach einer neuen Orientierung.
Das IKIGAI Modell
Das Modell ist relativ schlicht. Es verbindet vier Faktoren: Was liebst du, was kannst du gut, was braucht die Welt und wofür kannst du bezahlt werden (Anmerkung: die Formulierung finde ich wichtig, denn sie fragt nicht danach, wofür du bezahlt wirst). Das IKIGAI, also das, wodurch der Beruf erfüllend und freudvoll wird, liegt im Schnittpunkt dieser vier Faktoren. Grafisch veranschaulicht, ist die Einfachheit des Modells augenfällig:
Vier wichtige Schnittmengen im IKIGAI
Wer genau hingeschaut hat, sieht natürlich mehr als vier Schnittmengen. Ich beschreibe hier die Überlappung von jeweils zwei Kreisen. Sie sehen wie Blütenblätter aus und sind der Einfachheit halber beschriftet.
Leidenschaft
Manche Schnittmengen ergeben sich fast zwangsläufig. So zum Beispiel die Überschneidung von dem, was du liebst und dem, worin du gut bist. Diese Schnittmenge bezeichnet deine Leidenschaft. Nicht immer spielen diese beiden Kreise im Berufsleben eine Rolle. Insbesondere in der Lebensmitte gibt es nicht wenige Beispiele von Menschen, die das erkannt haben und nach einem Weg suchen, ihre Leidenschaft auch beruflich zu verwirklichen.
Beruf
Eine ebenfalls häufige Kombination ist der Beruf (Profession), also die Überschneidung von dem, für das du bezahlt wirst und dem, was du gut kannst. Eigentlich eine sehr gute Kombination. Falls du dennoch nicht zufrieden bist, könnte es daran liegen, dass dir Sinn oder Leidenschaft fehlt. Es ist auch denkbar, dass du im falschen Unternehmen bist und ein Wertekonflikt die Ursache für die Unzufriedenheit ist. Es könnte sein, dass du das, was du beruflich machst, sehr gut machst und auch dafür bezahlt wirst und trotzdem nicht zufrieden bist: die Bezahlung zu niedrig, die Kollegen unsozial, inkompetente Vorgesetzte…. Das IKIGAI-Modell ist kein Allheilmittel, es zeigt aber wichtige Aspekte auf, die bei einer Neuorientierung eine Rolle spielen.
Aufgabe
Wenn sich das, was du liebst und das, was die Welt braucht, überschneiden, dann hast du eine Aufgabe (Mission). Sehr häufig ist diese Kombination im Ehrenamt anzutreffen. Aber es lohnt sich darüber nachzudenken, ob es nicht auch möglich ist, mit dieser Kombination Geld zu verdienen. Erfahrungsgemäß bekommt man Antworten, wenn man die richtigen Fragen stellt. Deshalb möchte ich jeden ermutigen, auch einmal in diese Richtung zu denken.
Berufung
Die Schnittmenge zwischen dem, was die Welt von dir braucht und dem, wofür du bezahlt werden könntest, wird in dem Modell als Berufung bezeichnen. Wenn du dich in diesem Bereich bewegst, stellt sich die Sinnfrage nicht. Die meisten Menschen in meinem unmittelbaren Umfeld kennen ihre Berufung nicht. Ich finde, dass es für eine berufliche Neuorientierung nicht unbedingt notwendig ist, seine Berufung zu kennen. Natürlich wäre es hilfreich, aber man sollte sich nicht unter Druck setzen lassen. Ein zufriedenes Berufsleben ist auch möglich, ohne seine Berufung zu kenne. In meinem letzten Blogbeitrag habe ich mich ausführlicher mit dem Thema Berufung beschäftigt.
IKIGAI-Beispiele für die berufliche Neuorientierung
Nachfolgend greife ich die eben erwähnten Schnittmengen auf und fülle sie mit Leben, d.h. ich gebe dir Beispiele und Fragen an die Hand. Es ist keine Anleitung im klassischen Sinne, weil ich finde, dass das Thema berufliche Neuorientierung nicht in ein starres Frage-Antwort-Schema passt.
Leidenschaft
Als Beispiel für eine leidenschaftliche Wissenschaftlerin fällt mir Jutta Allmendinger sein. Sie ist Soziologin und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Allmendinger engagiert sich stark für soziale Themen und ist bekannt für ihre Forschungsarbeit zur sozialen Ungleichheit.
Das Gute bei dieser Schnittmenge ist, dass es nicht so schwierig sein sollte herauszufinden, worin du gut bist und was du gerne tust. Falls es doch nicht so einfach ist, frage in deinem Umfeld, was sie denken, was du gut kannst. Auch ein Protokoll könnte helfen. Schreibe einmal für eine Woche lang jede Tätigkeit auf und vergebe einen „Symphatie-Wert“ dafür. Damit meine ich eine Zahl von 1 (mag ich gar nicht) bis 10 (mag ich sehr). Das gibt dir Hinweise darauf, was du wirklich gerne machst.
Wenn du glaubst, dass deine Leidenschaft zu trivial ist, dann möchte ich dir vor Augen halten, dass es beispielsweise sehr erfolgreiche online Unternehmerinnen gibt, die mit ihrer Leidenschaft für Handarbeiten ihr Geschäft aufgebaut haben.
Beruf
Wer über berufliche Neuorientierung nachdenkt, ist nicht zufrieden. Du könntest erforschen, welche Aspekte deines Berufs dir gefallen und sie ausbauen. Auch dafür eignet sich das im vorigen Abschnitt erwähnte Protokoll. Vielleicht stellst du fest, dass dich die Vielzahl der Meetings auslaugen und du eigentlich lieber etwas Handfestes tun würdest. Wenn Meetings Kernbestandteil des Jobs sind (wie das zum Beispiel bei Managern der Fall ist), dann müsste man über einen Rollenwechsel nachdenken.
Wer in der Lebensmitte über berufliche Neuorientierung nachdenkt, ist mit einer besonderen Herausforderung konfrontiert. In der Regel hat man schon einen Brotberuf. Unter Umständen ist der sogar gut bezahlt und vielleicht kann man das, was man tut auch sehr gut. Dennoch könnte es sein, dass man unzufrieden ist, weil es zu wenig Entwicklungsmöglichkeiten gibt. Sprich: Es ist langweilig und dadurch anstrengend. Falls sich das für dich paradox anhört, dann spüre in dich hinein, wie du auf Situationen von Unterforderung reagierst.
Vielleicht gibt es einen Bereich, den man toll findet, aber sehr wahrscheinlich wird man in diesem Bereich weniger verdienen. Wenn das Sicherheitsbedürfnis stark ausgeprägt ist, bleibt man dann doch lieber im goldenen Käfig. Hier hilft nur radikale Ehrlichkeit: Wie viel ist mir meine Lebendigkeit wert? Wie viel Geld brauche ich wirklich zum Leben? Gibt es eine Möglichkeit, wie ich mich auch im goldenen Käfig aus der Komfortzone herauswagen kann? Wie das Sicherheitsdenken den Mut zum Jobwechsel blockieren kann, habe ich in diesem Beitrag beschrieben.
Aufgabe
Unternehmen haben eine Antwort auf die Frage, was die Welt braucht. Sonst würden sie wirtschaftlich nicht überleben. Deshalb kannst du dich darauf konzentrieren, das, was du liebst, in einem Unternehmen auszuüben, das gut zu dir passt. Damit meine ich, dass es eine Übereinstimmung zwischen euren Werten gibt und die Rahmenbedingungen zu deiner Lebenssituation passen.
Ich möchte ein Beispiel dafür geben, wie man das, was man liebt, in seinen Beruf integrieren kann. Ich denke dabei an die Sekretärin, die Befriedigung daraus zieht, Dinge und Abläufe gut zu organisieren und im Hintergrund dafür zu sorgen, dass die Vorgesetzte im Vordergrund gut wirken kann.
Auch ein Ehrenamt oder ein Hobby könnte ein Ausgangspunkt für eine berufliche Neuorientierung sein. Ich denke an eine Frau, die zunächst Elternvertreterin war, sich dann im Gemeinderat engagiert hat, und schließlich Vollzeit in die Politik wechselte und als Bürgermeisterin arbeitete. Stiftungen und Verbände sind ebenfalls Arbeitgeber, die gegebenenfalls sehr gut zur eigenen Mission passen können.
Berufung
Ein Beispiel für eine Unternehmerin mit Berufung ist Anita Roddick. Sie war die Gründerin von The Body Shop, einem Kosmetikunternehmen, das nicht nur kommerziell erfolgreich war, sondern auch eine klare soziale und Umweltmission verfolgte. Roddick setzte sich leidenschaftlich für Umweltschutz, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit ein. Ihr unternehmerisches Engagement war von einer starken Berufung geprägt, die sie in ihrem Unternehmen verwirklicht hat.
Meine Bewertung des IKIGAI-Modells
Die Beispiele zeigen, dass du dir mit diesem relativ schlichten Modell, sehr grundsätzliche Fragen stellen (und beantworten) kannst. Das Modell deckt nur einen Teilaspekt von IKIGAI ab und es reicht auch nicht aus, um das eigene IKIGAI wirklich zu finden. Aber als Einstieg für die berufliche Neuorientierung finde ich das Modell auf jeden Fall hilfreich. Wann es sinnvoll ist, einen Coach für diese Frage zu konsultieren, habe ich in diesem Beitrag beschrieben.
Es lohnt sich auch, genau hinzuschauen, welcher Bereich fehlt. Es könnte an Geld, Sinn, Kompetenz oder Freude mangeln. Vielleicht fehlt auch eine Kombination aus mehreren Aspekten. Diese Erkenntnis ist bereits hilfreich. Je nachdem findest du vielleicht direkt schon passende Ansatzpunkte für eine Veränderung in die gewünschte Richtung.
Dir gefällt, was du hier liest? Dann lass uns in Kontakt bleiben.
Du wünschst dir kleine Auszeiten für mehr Zufriedenheit und Lebensfreude in der Lebensmitte? Dann abonniere meinen buntbrief. Alle zwei Wochen schenke ich dir Impulse und neue Blogbeiträge direkt in dein Postfach. Kostenlos, werbefrei und jederzeit kündbar.